Im noblen Stadtteil Herdern haben junge Leute ein vom Abriss bedrohtes Haus besetzt. Sie kritisieren die "Gentrifizierung und soziale Segregation".

Baden-Württemberg: Heinz Siebold (sie)

Freiburg - Selten nur noch werden Häuser besetzt, nur in Städten wie Freiburg gibt es eine Szene, die ab und an zu diesem Mittel politischen Protestes greift. In der Gartenstraße ist seit fast einem Jahr ein Büdchen in der Hand von sich als linksautonom verstehenden jungen Leuten. Da es keine Anzeige des privaten Besitzers gibt, hat auch keine Räumung stattgefunden. Jetzt ist erneut und diesmal ein größeres Haus besetzt worden: der Eigentümer ist die Freiburger Stadtbau und das besetzte Haus liegt im Musikerviertel im vornehmen Stadtteil Herdern in Freiburgs Norden, dort, wo Anwälte, pensionierte Bankdirektoren, Architekten, Hoteliers, Chefärzte und mutmaßliche Kunstfälscher Quartier genommen haben.

 

Hier bildet die Johann-Sebastian-Bach-Straße eine kleine Sondereinheit: Zwei flache Häuserzeilen links und rechts der Straße mit zusammen 95 Wohnungen, im Schnitt 30 Quadratmeter groß, boten zuletzt vor allem Rentnern ein preiswertes und bescheidenes Heim. Isolierung, Heizung und sanitäre Einrichtungen sind mit Sicherheit erneuerungsbedürftig, denn die Wohnanlage wurde zu Beginn der 1950er Jahre gebaut, in den 80er Jahren hat die Arbeiterwohlfahrt sie gepachtet, zurzeit wohnen noch zwölf Mietparteien dort. Schon länger wurde das begrünte Ensemble "entmietet", denn die Stadtbau will die Grundstücke neu bebauen, die ihrerseits der Freiburger Stiftungsverwaltung gehören. In den geplanten 16 Reihenhäusern sollen noch 24 Wohnungen vermietet, der Rest verkauft werden.

Forderung nach einem "selbstverwalteten Wohnprojekt"

Die Linksautonomen, die jetzt Haus Nummer 36 in der Johann-Sebastian-Bach-Straße besetzt haben, fordern, dass dort ein "selbstverwaltetes Wohnprojekt" entsteht. Sie kritisieren die "Gentrifizierung und soziale Segregation", was selbst den akademisch gebildeten Nachbarn kaum geläufig sein dürfte. Gemeint ist der gewollte Umwälzungsprozess in einem Wohnviertel, bei dem einkommensschwächere Bevölkerungsgruppen abgedrängt werden. Sozial- und Wohnungspolitiker warnen schon lange vor den negativen Konsequenzen für die Stadtentwicklung, wenn Arm und Reich jeweils unter sich bleiben.

Doch die Ökonomie lässt für sozialen Wohnungsbau immer weniger Spielraum: Der Grundstückspreis im Freiburger Nobelstadtteil liegt zwischen 600 und 1600 Euro pro Quadratmeter. Im Aufsichtsrat der Stadtbau haben zwei Stadträte der Unabhängigen Listen gegen den Neubau gestimmt. Ein Abriss sei "unverständlich", sagen Irene Vogel und Hendrijk Guzzoni, denn es herrsche Mangel an Wohnraum, vor allem für einkommensschwache Schichten. Die Stadträte verlangen von OB Salomon (Grüne), der Aufsichtsratsvorsitzender der Freiburger Stadtbau ist, das Anliegen der Besetzer ernst zu nehmen.