Bei Kantaten von Bach haben die reformierten Ensembles der Gaechinger Cantorey ihre Feuer- und Wasserprobe bestanden.

Manteldesk: Mirko Weber (miw)

Stuttgart - Authentizität, schrieb der Dirigent, Cembalist und Organist Ton Koopman, zugleich Gründer und Leiter des Amsterdam Baroque Orchestra, sei begrifflich synonym geworden mit dem Musizieren auf alten Instrumenten und der dazugehörigen Kenntnis des damaligen Stils. Allerdings habe die Authentizität eine „unangenehme Nebenbedeutung“ im Sinne von „Wir haben die Weisheit gepachtet“. Natürlich sei das Unsinn.

 

Wie wenig man überhaupt irgendetwas gepachtet hat als Musiker, erläuterte eindrucksvoll die Oboistin Julia Ströbel-Bänsch im Stuttgarter Hospitalhof, ein paar Stunden bevor das neue Orchester unter Hans-Christoph Rademann in der Stiftskirche die Feuer- und Wasserprobe mit Bach-Kantaten zu bestehen hatte. Das Stuttgarter Publikum kennt Ströbel-Bänsch unter anderem als Mitglied des Bach-Collegiums unter Helmuth Rilling und war da gewöhnt an einen makellosen Oboenton, so wie die Instrumentalistin selber. Bei der Umstellung auf barockes Material allerdings, bekannte Ströbel-Bänsch, sei ihr anfangs nicht mal eine normale C-Dur-Tonleiter gelungen. Die Anwesenden mussten lachen, aber man kann sich vorstellen: Richtig lustig gewesen ist es dann doch nicht. Andererseits, setzte die Oboistin hinzu, habe sie die Umstellung noch nicht einen Tag bereut, und wer sie hernach – und um ein Detail herauszunehmen – in der Kantate „Herr Jesu Christ, du höchstes Gut“ (BWV 113) an der Seite der Kollegin Xenia Löffler vernahm, durfte innerlich nur ins Rühmen geraten. Wo die Intonation kein Drei-Viertel-Selbstläufer mehr ist, sind es ja gerade solche tänzerischen, fast abhebenden Passagen (wie in der Bassarie „Fürwahr, wenn mir das kömmet ein“ im 12/8-Takt ), die leicht misslingen. Hier: keine Spur. Und vorne stand auch noch Andreas Wolf, ein wundersam differenzierender Bassbariton. Hans-Christoph Rademann musste an sich halten, um nicht schon zwischendurch allen zu applaudieren.

Konzertmeisterin Nadja Zwiener agierte mit löwengleicher Entschlossenheit

Dies übernahm hernach ausführlich das zahlreich angetretene Stuttgarter Publikum, woraufhin man wiederum von der Bühne her – nach den Kantaten BWV 168, 94 und, siehe oben, 113 – meinte, ein paar Steine herzherunter plumpsen zu hören: Ganz leicht bang war wahrscheinlich schon dem einen oder anderen vorher gewesen: Würden die Stuttgarter, bei – sagen wir ruhig – ihrem Bach ebenso zustimmend einen Paradigmenwechsel akzeptieren wie am Wochenende zuvor bei Monteverdi, einem vergleichsweise urkatholischen Werk? Bitte: von Anfang an kein Problem, was nicht wenig an der Konzertmeisterin Nadja Zwiener lag, die in „Tue Rechnung! Donnerwort“ mit löwengleicher Entschlossenheit sprang – eine Kratzspur heftiger jedenfalls, als Rademann die Dinge angehen wollte. Entschlossenheit auf höchster Professionalitätsstufe wiederum ist etwas, das selbst jemandem imponiert, dem der prinzipiell kantige Originalklang noch nicht völlig einleuchtet. Wie von selbst rückt im Übrigen vor der klanglichen Klarheit das Wort wieder sehr in den Mittelpunkt, und so ist es ja auch recht.

Man kann, mit einem Wort vorerst vielleicht, mit diesen Ensembles enorm viel riskieren: dynamisch und artikulatorisch – und Grenzen sind erst mal nicht in Sicht. Schon bei der Vorstellungsprobe im Hospitalhof hatte man ein Gefühl, das nicht selbstverständlich ist, nämlich, dass die verschiedenen Gruppen fast begierig scheinen, miteinander in ein konstruktives, offenes Gespräch zu kommen. Sehr zu unserem Nutzen: Hören wir ihnen zu!