Am 30. September 2017 verlässt der amtierende Rektor die Freiburger Musikhochschule. Elf Jahre hat Nolte das Haus geprägt. Ein Gespräch als Blick zurück und als Blick nach vorne.

Freiburg - Nach elf Jahren als Rektor nimmt Rüdiger Nolte Abschied von der Freiburger Musikhochschule

 
Herr Nolte, 2006 sind Sie als Rektor berufen worden. Was hat sich an der Freiburger Musikhochschule durch Sie und mit Ihnen verändert?
Als ich vor meinem Amtsantritt nach dem Schwerpunkt der Freiburger Hochschule fragte, war die spontane Antwort: künstlerisch. Doch schon kurz danach habe ich das vorhandene Potenzial musikpädagogischer Bedeutung erkannt – und die Notwendigkeit, diese auszubauen, was uns durch Neuberufungen auch gelungen ist.
Sie haben ziemlich viel Gegenwind von Leuten bekommen, die gesagt haben: Rüdiger Nolte entkräftet in Freiburg die künstlerischen Studiengänge zugunsten der Musikpädagogik und Musikvermittlung . . .
Mir wurde vorgeworfen, ich würde aus der künstlerischen eine pädagogische Hochschule machen. Was aber nicht stimmt, denn wir konnten in den vergangenen Jahren künstlerische Professuren mit international hervorragenden Musikerinnen und Musikern geradezu gesteigert besetzen. Es macht auch gar keinen Sinn, das Künstlerische gegen das Pädagogische auszuspielen, sondern es kann nur um den Anspruch auf Exzellenz in beiden Bereichen gehen.
Warum ist Ihnen der pädagogische Aspekt so wichtig?
Musikpädagogik bedeutet Kulturvermittlung, und es ist von hoher gesellschaftlicher Relevanz, mit Kindern und Jugendlichen musikpädagogisch zu arbeiten. Wobei es nicht allein um die Rettung unserer „Klassik“-Tradition gehen kann, sondern um den weit tieferen Sinn musikalischer Erfahrung. Und zwar mit jeder Art von qualitativ guter Musik. In diesem Sinn sind die Freiburger Reformunternehmungen zu verstehen, auch die der klassischen Klavierausbildung. Schon länger werden da künstlerische und künstlerisch-pädagogische Studiengänge zusammen gedacht, und in Zukunft sollen verstärkt Professuren mit durchdachten Profilierungen berufen werden, also zum Beispiel Kammermusik, künstlerische Forschung, Korrepetition und auch Improvisation, was die Bereiche Generalbass und Jazz miteinander verbindet.
Hat Freiburg einen Standortvorteil?
Wir haben eine der besten deutschen Universitäten und eine der besten Pädagogischen Hochschulen Deutschlands vor Ort. Mit der Pädagogischen Hochschule haben wir gemeinsame Studiengänge erarbeitet, um die getrennte Zuständigkeit für Grund- und Vorschulausbildung zu überwinden. Mit der Universität Freiburg kooperieren wir schon länger, mit unserer Musikermedizin und im Fall unserer Kirchenmusik mit der theologischen Fakultät.
Ein Ergebnis der „Zukunftskonferenz Musikhochschulen“ 2014 war der Beschluss, in Freiburg ein Forschungs- und Lehrzentrum zu gründen. Was muss man sich darunter vorstellen?

Bei meiner offiziellen Verabschiedung im Juli haben der Rektor der Albert-Ludwigs-Universität und ich den Gründungsvertrag für eine entsprechende Kooperationsvereinbarung unterzeichnet. Dieses Forschungs- und Lehrzentrum versammelt musikwissenschaftliche, musiktheoretische, musikpädagogische und musikermedizinische Professuren und hat sich zum Ziel gesetzt, als Verbund dieser verschiedenen Disziplinen einen verändert reflektierten Wissenschaftsbegriff mit striktem Praxisbezug zu entwickeln. Damit ist dieses Zentrum nicht nur eines der international größten, sondern auch ein im Anspruch wirklich innovatives Wissenschaftszentrum. Neben Kunst und Pädagogik stellt für die Freiburger Musikhochschule somit die Wissenschaft das dritte wichtige Standbein dar – mit dem Effekt, dass wir derzeit die baden-württembergische Musikhochschule mit den meisten Drittmitteleinnahmen sind. Das Ideal dieser drei Standbeine ist ein veränderter Typus von Studierenden: Wir möchten, dass man bei uns weiß, warum man was wie und warum spielt und studiert.

Im Raum steht auch immer noch und immer wieder die Frage, ob Musikhochschulen noch am Bedarf entlang ausbilden.
Würden wir nur Solisten ausbilden wollen, dann wäre das der Fall.
Aber wenn man auf die schrumpfende Orchesterlandschaft blickt, darf man doch wohl fragen, ob es so viele neue Musiker braucht, wie sie gerade an den Hochschulen studieren.
Die Entscheidung für Konzerthausneubauten wie die Elbphilharmonie wird nach Rentabilitätsmaßstäben entschieden und zeigt, dass wir uns nicht gerade in einer Krise des Konzertbetriebs befinden. Warum sollten sonst international weiterhin so viele Konzerthäuser gebaut werden? Wir sollten uns viel eher über die Entwicklung des qualitativen Umgangs mit Musik Gedanken machen, um die Frage beantworten zu können, warum gleichzeitig viele Verantwortliche Musikkultur für verzichtbar erachten.
Die Frage bezieht sich auch auf die Kosten der Musikerausbildung . . .
Die teuersten Studiengänge sind Schulmusik und Kirchenmusik. In beiden Fällen gibt es auf dem Berufsmarkt mehr freie Stellen als Bewerber, außerdem handelt es sich hier hauptsächlich um deutsche Studierende. Die weit billigeren Studienplätze der künstlerischen Hauptfächer werden von international bunt gemischten Studierenden belegt und dienen auch der internationaler Vermittlung deutsch-europäischer Kulturinteressen.
Aber stimmt es nicht, dass die Orchester weniger geworden sind?
Ja, das sind sie. Doch was den damit beklagten Verfall unserer Musikkultur betrifft, so muss gefragt werden, ob wir uns deshalb reduzierend hinter dieser Tendenz hinterher entwickeln sollen, als handele es sich hier um ein Naturereignis, oder ob es nicht besser wäre, Konzepte dagegen zu entwickeln. Das jedenfalls versuchen wir in Freiburg mit dem reflektierten Ausbildungsverhältnis von Kunst, Pädagogik und Wissenschaft. Genau das ist der Anspruch unserer Reform. Doch kann es dabei eben nicht mehr allein um die Kultur der „Klassik“ gehen.
Steht das „E“ der „E-Musik“ nicht auch für eine Elite, der man sich als Veranstalter wie als Besucher gerne zuordnen will?
Diese Elite hat sich schon lange aufgelöst. Die gibt es nicht einmal mehr in Salzburg. Bei 2100 pro Abend zu verkaufenden Plätzen in der Elbphilharmonie kann man wohl kaum mehr von Elite sprechen. Man kann das Gefühl von Elite höchstens durch Eventkonzepte simulieren, die aber mit musikalischer Qualität letztlich nichts zu tun haben. Oder warum ist eine Brahmssinfonie in der alten Hamburger Laeiszhalle so öde und dieselbe Sinfonie in der Elbphilharmonie so schick?
Braucht es denn Musikpädagogen, um Kinder in die Laeiszhalle hineinzuführen und ihnen zu zeigen, dass es auch hip ist, hier Brahms zu hören?
Musikpädagogik hat nicht die Aufgabe, verkaufsfördernd zu wirken, sondern soll Kindern den leidenschaftlichen Zugang zur und die Bedeutung von Musik vermitteln. Erst in zweiter Linie geht es dabei um das Repertoire – und um die Location wohl eher kaum.
Wie ist heute das Verhältnis der baden-württembergischen Musikhochschulen zum Kunstministerium?
Für Freiburg kann ich sagen, dass wir uns mit unseren Anliegen aufmerksam begleitet fühlen. Dabei mögen unsere Kooperationen mit der Universität und der Pädagogischen Hochschule eine Rolle spielen. Im Übrigen haben wir fünf Musikhochschulen die Geschichte hinter uns, dass unsere Haushalte zunächst um vier bis fünf Millionen Euro gekürzt werden sollten und die Kunstministerin Theresia Bauer uns dagegen in den Hochschulfinanzierungsvertrag aufgenommen hat, was uns in den Vorteil finanzieller Stabilität brachte. Dies geschah mit der Bedingung, uns durch Landeszentren zu profilieren und zeigt für mich ein gelungenes Beispiel für politisches Krisenmanagement.
Haben die Musikhochschulen in Baden-Württemberg zu wenig Geld?
Ich würde in meinem Haus sicher keinen Beifall ernten, wenn ich das mit Nein beantworten würde.

Hintergrund

Rektor: 1951 geboren in Celle. Studium von Schulmusik, Germanistik, Philosophie und Politikwissenschaften. 1982 Promotion in Hannover. Nolte arbeitete in Verlagen (u.a. bei Hoffmann und Campe) und als freier Journalist. 1994-98 leitete er die Internationalen Festtage Alter Musik des Musikpodiums Stuttgart. 1998-2006 war er Dramaturg des Freiburger Barockorchesters, arbeitete außerdem als Produktionsdramaturg u. a. für vier neue Stücke des Stuttgarter Balletts. 2006-2017 war Rüdiger Nolte Rektor der Musikhochschule Freiburg. Sein Nachfolger ist Ludwig Holtmeier.

Hochschule: Baden-Württemberg hat fünf Musikhochschulen mit Standorten in Stuttgart, Mannheim, Freiburg, Karlsruhe und Trossingen. Die 1946 gegründete Freiburger Hochschule, die sich besonders auf dem Gebiet der Neuen und der Alten Musik und durch das Institut für Musikermedizin profilierte, bezog 1983 einen Neubau.

Zukunftskonferenz Musikhochschulen: Im Juli 2013 hatte der Landesrechnungshof eine lineare Kürzung bei allen fünf Musikhochschulen in Baden-Württemberg vorgeschlagen, die durch eine Reduzierung der Studienplätze um ein Fünftel erreicht werden sollte. Gespart werden sollten vier bis fünf Millionen Euro. Nach heftigem Widerstand gegen die Sparpläne initiierte das Ministerium für Wissenschaft und Kunst 2014 fünf Fachtagungen zur Zukunft der Hochschulen. Das Ergebnis: Alle Hochschulen bleiben erhalten, jede soll sich durch einen Kernbereich, einen Profilbereich und durch „qualifizierte Zentren“ definieren.