Nach einem Jahr voller Anhörungen liegt der Streit um die Zukunft der Musikhochschule nun im Landtag. Der Rechnungshof fordert weiter Abstriche. Muss der Jazz in Stuttgart doch noch bluten?

Kultur: Jan Ulrich Welke (juw)

Stuttgart - Hartmut Höll weiß, wie donnernde Emotionen aussehen – als Pianist hat er schon mit Dietrich Fischer-Dieskau, Tabea Zimmermann, Hermann Prey oder Christoph Prégardien musiziert und ist dafür weltweit gefeiert worden. Von dem, was ihm am Montagmorgen im Konzertsaal der Karlsruher Musikhochschule entgegenschlug, war der Rektor dennoch verblüfft. Kaum traute er sich nochmals auf die Bühne, Regelrecht hochgewinkt werden musste er von der Moderatorin, um dort für Zustimmung und Dank aus dem Saal zu danken und verschmitzt hinzuzufügen, dass er heute leider keine Zugabe geben könne.

 

Zuvor hatte Höll als Vorsitzender der Rektorenkonferenz der Musikhochschulen in Baden-Württemberg mit wohlgewählten, dezidierten, jedoch keinesfalls markigen Worten bewiesen, dass er nicht nur ein gefragter Liedbegleiter ist (just hierfür hat er seine Professur in Karlsruhe inne), sondern auch ein überzeugender Rhetoriker. Höll hob hervor, dass sich die fünf Musikhochschulen im Land „einvernehmlich“ auf die Kernthesen seiner Rede geeinigt hätten. Das war zweifellos erwähnenswert, weil just vor einem Jahr, man erinnere sich, am Anfang der unseligen Debatte um die Strukturreformen an den Musikhochschulen nicht gerade felsenfeste Eintracht unter den Rektoren zu verzeichnen war.

Wie es sich für einen guten Rhetoriker ziemt, vermochte Höll die Ergebnisse dieses Einvernehmens aber auch in diplomatisch nebulöse Formulierungen zu verpacken. Er sagte also, dass „die Landesrektorenkonferenz qualifizierte Zentren einführen“ werde, „um ein Vollangebot zu dokumentieren“, dass aber selbstredend „Details noch geklärt werden müssen“ und „Kooperationen nicht zu Reisetourismus führen dürfen“. Auf gut deutsch: irgendwie wird man sich schon über das leidige Hauptthema der vor zwölf Monaten angestoßenen Debatte verständigen. Und dieses Thema lautet, ob es auch künftig in Stuttgart einen eigenständigen Pop- und Jazzstudiengang geben oder ob dieser nach Mannheim verlegt werde, wo dann wiederum die Popakademie zu einer sechsten Hochschule aufgewertet werden könnte und sollte. Oder auch nicht. Denn nichts Genaues weiß man nicht, jedenfalls war es diesen Passagen der Rede des Rektoren nicht zu entnehmen.

„Die Förderung von Kunst ist eine Investition“

Glasklar sprach Höll fortan allerdings über den Rest. „Mehr Qualität bei sinkenden Budgets ist unmöglich“, die angedachten Kürzungen „sind Peanuts, die uns international marginalisieren würden“, die „Sparforderung ist nicht einzulösen und muss vom Tisch“ – und in seiner Zugabe hätte er gewiss noch weiter gemacht. So allerdings fuhr er den bombigen Schlussapplaus mit einem ebenso bedeutungsschwangeren wie richtigen Schlusssatz ein: „Die Förderung von Kunst und Kultur ist nicht Subvention, sondern Investition.“

Ähnlich diplomatisch (oder nennen wir es nebulös?) gab sich zuvor in ihrem Eingangsvortrag auch Theresia Bauer, die Kunstministerin von Baden-Württemberg, bezüglich der „heiklen Standortdiskussion“. Sie selber, die vor Jahresfrist vom enormen Widerstand gegen den Ministeriumsvorschlag, den Pop- und Jazzstandort Stuttgart dicht zu machen und die Musikhochschule Trossingen gehörig herunter zu stutzen, sichtlich überrumpelt wirkte, freute sich nun in Karlsruhe, „dass die Debatte sehr sachlich geworden ist“. Sodann versprach sie, dass es auch künftig „an allen fünf Standorten ein Angebot mit Orchesterinstrumenten geben“ werde, wie auch immer man diese Buchstaben nun deuten und verstehen soll; und dass „die Kooperation zwischen Mannheim und Stuttgart im Bereich Jazz ausbuchstabiert und mit Leben erfüllt werden soll“.

Sechs sehr konkrete Leitlinien für die weiteren Überlegungen hatte sie indes noch zu bieten. Nämlich dass erstens die steigende Absolventenzahl angesichts der immer größer werdenden Konkurrenz um Berufsmusikerstellen zu prüfen sei (so wie es übrigens ursprünglich der Rechnungshof als Kernziel vorgeschlagen hatte); dass zweitens die pädagogischen Fähigkeiten der Studenten gestärkt werden sollen (nachvollziehbar angesichts der Notwendigkeit für ausgebildete Musiker, sich mit Unterricht warme Mahlzeiten zu finanzieren); drittens eine bessere Vorbereitung auf tendenziell zu erwartende Freiberuflichkeit (keine revolutionär neue Erkenntnis); viertens die Stärkung von „Vermittlungskompetenz“ im Amateurmusikbereich und in der elementaren Musikpädagogik, insbesondere im Bereich der Gitarre (eine wichtige Information zweifellos für alle, die immer noch dachten, dass Jugendliche heutzutage am liebsten Cembalo- oder Gambenspiel erlernen); fünftens eine Stärkung der Schulmusik (weil eins nun mal das andere bedingt – wo keine Schüler, dort keine Lehrer); sowie sechstens die Maßgabe, die Musik der Einwanderer in Deutschland verstärkt in den Blick zu nehmen (wobei sie vermutlich nicht zwingend junge Asiaten im Blick hat – die nämlich stellen in manchen Fachrichtungen zwei Drittel der Studenten).

Die Zukunft des Jazz in Stuttgart ist wieder offen

Tags drauf, also am Dienstag, traf sich das Gros der Teilnehmer im Stuttgarter Landtag wieder. Dorthin hatte der Wissenschaftsausschuss zu einer Anhörung geladen. Bemerkenswert dort neben der überfordernden Anzahl von neunzehn Referenten die noch dezidierter als am Vortag geäußerte Ablehnung Hartmut Hölls, der Mannheimer Popakademie den Hochschulstatus zu verleihen. Sodann das nachdringlich geäußerte Unbehagen des Rektors des Salzburger Mozarteums, dass international kein Mensch verstehen würde, wenn im Mutterland der Hochkultur ausgerechnet bei der Musikerausbildung geknapst würde. Hernach die Binsen, die der Popakademiegeschäftsführer Udo Dahmen drosch („Populäre Musik ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen“). Sowie abschließend der Auftritt eines erfrischend in einem Trachtenjanker ans Rednerpult tretenden Direktors des Landesrechnungshofs, Andreas Knapp. Gewissermaßen in der Höhle des Löwens jubilierte er trocken ob einer völlig unerwarteten öffentlichen Resonanz, die seine Behörde auf einen Sparvorschlag bisher so noch nie erlebt habe, erwähnte noch kurz das bis dato nicht bekannte Monitum des Rechnungshofs, dass von zwölf in Baden-Württemberg studierenden Fagottlehrern elf der deutschen Zunge nicht mächtig seien – und dankte abschließend der Ministerin, dass sie in dieser Strukturreformdebatte „den leichtesten Weg nicht gegangen ist“.

Dass dieser Weg kein leichter sein wird, musste dann auch die etwas zerknirscht wirkende Ministerin in ihrem Schlussstatement einräumen. „Wie es weitergeht, müssen wir politisch drehen und wägen“, so Theresia Bauer. Offene Fragen bleiben hinreichend: Reizthemen wie die in den vergangenen zwei Tagen von verschiedensten Seiten immer wieder aufgebrachte Forderung nach Studiengebühren für ausländische Studenten, die im Ausland gang und gäbe sind, aber dem politischen Wunsch der grün-roten Landesregierung natürlich entgegenlaufen, die als eines ihrer Hauptwahlkampfversprechen just die Studiengebühr abgeschafft hat. Die erschütternd demotivierenden Perspektiven für die hoch qualifizierten Lehrbeauftragten an den Musikhochschulen, die zum Sterben zu viel und zum Leben zu wenig verdienen. Und natürlich die Frage, ob sich eine Landeshauptstadt eines der wohlhabendsten Staaten der Welt erlauben sollte, an ihrer Musikhochschule auf Zeitgenössisches zu verzichten. Eben diese Frage könnte künftig noch besser geregelt werden, wenn die dieser Tage peinlich stumm gebliebenen Spitzen der Stuttgarter Musikhochschule dazu auch mal ihr Wort dazu erhoben hätten.

Die Fortsetzung folgt jedenfalls – demnächst, am 27. September, abermals im Wissenschaftsausschuss, einen Monat darauf im maßgeblichen Finanzausschuss und an- und abschließend im Landtag. Der Ausgang ist offen, definitiv auch, was – trotz einiger Fingerzeige und ausgiebiger Debatten – die Zukunft des Jazz- und Popausbildungsstandorts Stuttgart betrifft.