Eine Studie über deutsche Muslime stößt auf massive Kritik. Dabei passen die Ergebnisse nicht zu gängigen Vorurteilen.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Armin Käfer (kä)

Berlin - Die geistige Hinterlassenschaft des gewesenen Bundespräsidenten Christian Wulff besteht aus einem einzigen Satz: jenem, mit dem er bekundet hat, dass auch der Islam zu Deutschland gehöre. Was bedeutet das eigentlich? Was wissen wir Deutschen über die hiesigen Muslime? Und wie denken diese über uns? Wie ist ihr Verhältnis zur Religion, zur Gewalt und zum islamistisch inspirierten Terror? Diese Frage lotet eine wissenschaftliche Studie aus, mit der sich der Geldgeber, Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU), schon viel Ärger eingehandelt hat – noch bevor die eigentlichen Ergebnisse bekannt sind.

 

Friedrich ließ sich mit einem markanten Satz zitieren, der sein generell schwieriges Verhältnis zum deutschen Islam zu illustrieren scheint. Er sagte mit Blickrichtung auf die Muslime in Deutschland, die Bundesrepublik dürfe „nicht den Import autoritärer, antidemokratischer und religiös-fanatischer Ansichten akzeptieren.“ Die Kritik an dieser Polemik dauert an.

Kenan Kolat, der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde, sprach von „purem Populismus“. Der Kriminologe Christian Pfeiffer warnte vor einer „pauschalen Angstmache“ vor Muslimen. Die stellvertretende SPD-Vorsitzende Aydan Özoguz bemängelte, dass einschlägige Studien sich immer nur auf Muslime konzentrierten. Auch in der deutschen Mehrheitsgesellschaft gebe es Abschottungstendenzen.

Fast alle Muslime fühlen sich diskriminiert

Dabei widerspricht die vermeintlich provokante Expertise vielen gängigen Vorurteilen. Sie beruht auf einem vor drei Jahren gestarteten Forschungsprojekt, an dem drei Hochschulen beteiligt sind: die Universitäten von Jena und Linz sowie die private Jacobs University Bremen. Psychologen, Soziologen und Kommunikationswissenschaftler haben für das Projekt Hunderte muslimische Familien befragt, deren Nutzerverhalten im Internet ausgewertet und die Berichterstattung der bevorzugten Fernsehkanäle analysiert.

Nach den im Rahmen der Studie gewonnenen Erkenntnissen fühlen sich die Muslime „fast ausnahmslos von der westlichen Gesellschaft diskriminiert“. Vier von fünf deutschen Muslimen befürworten jedoch die Integration. Anders sieht das bei ihren nichtdeutschen Glaubensgenossen aus. 48 Prozent von ihnen neigen eher dazu, sich in Parallelwelten abzuschotten. Die befragten Muslime hegen im Vergleich zur Restbevölkerung stärkere Vorurteile gegenüber Juden, eine größere Distanz zur Demokratie und eine größere Akzeptanz von Gewalt als Mittel der Politik.

Einfluss der Religion auf politische Ansichten gering

Die meisten in Deutschland lebenden Muslime halten sich selbst für religiös; für 41 Prozent spielt die Religion sogar eine besonders große Bedeutung. Allerdings sei „der Einfluss der Religion auf die politische Einstellung gering“. Nur 16 Prozent der befragten Muslime ließen sich bei der politischen Meinungsbildung von religiösen Erwägungen leiten. 26 Prozent wünschten sich eine islamische Partei in Deutschland.

Die jungen Muslime aus dem traditionellen Arbeitermilieu „lehnen einen fundamentalistischen Islam ebenso wie einen militanten globalen Dschihad entschieden ab“, heißt es im Fazit der Studie. Unter denjenigen, die sich von fundamentalistischen Glaubensbotschaften angesprochen fühlten, würden viele dennoch keine Sympathie für islamistischen Terror empfinden. Die überwiegende Mehrheit der Muslime distanziere sich deutlich von religiös motivierter Gewalt und von Terroristen, die sich auf ihren Glauben berufen.

Intoleranz von Seiten der Bevölkerungsmehrheit schüre Abschottungstendenzen und helfe den Fundamentalisten, so eine Erkenntnis aus der Studie. Dort heißt es: „Restriktive Maßnahmen wie ein Kopftuchverbot oder ein Minarettverbot stärken in erster Linie die Extremisten.“ Auch Muslime, die nur selten die Moschee besuchten empfänden solche Verbote als diskriminierend und ungerecht.

Die Muslimstudie im Netz

www.bmi.bund.de