Seit rund vier Monaten sind Aysel Özdemir, Muslimin mit türkischen Wurzeln, und Jaaffar Dahasse, der tunesischer Abstammung ist, als muslimische Seelsorger ehrenamtlich im Klinikum unterwegs.

Stuttgart - Mit einem in Leder gebundenen Koran in der Hand betritt Aysel Özdemir das Zimmer auf der Palliativstation des Katharinenhospitals. Die Patientin, die sie besucht, ist 37 Jahre alt, stammt aus dem Irak, hat zwei kleine Kinder und ist schwerst krebskrank. Neben ihr auf dem Bett liegt eine Schmerzpumpe, die es ihr ermöglicht, selbst zu bestimmen, wann die nächste Dosis Schmerzmittel in den Körper fließt. Aysel Özdemir legt der Patientin die Hand auf die Stirn, flüstert beruhigend mit ihr, fragt, ob sie die Kraft spüre, die durch ihre Hand fließe. Dann setzt sich die muslimische Seelsorgerin ans Bett und beginnt die Erschaffungssure zu lesen, arabische Verse, die helfen sollen, die Krankheit zu überwinden.

 

Aysel Özdemir betet mit der Irakerin

Später erzählt die irakische Patientin, dass ihr jüngstes Kind gerade 14 Monate alt ist. Sie freue sich, dass sie wieder nach Hause könne, habe aber Angst davor, inmitten ihrer Familie und trotz palliativmedizinischer ambulanter Betreuung keine Ruhe zu finden, die sie so dringend brauche. Aysel Özdemir betet mit der Irakerin. Als die ehrenamtliche Seelsorgerin das Zimmer verlässt, hat sie Tränen in den Augen. „Das sind Momente, in denen ich meinen muslimischen Kollegen anrufe und ihn bitte, ein Gebet für mich zu sprechen“, erzählt Aysel Özdemir. Und es sind die Momente, in denen sie sich wie vor dem Gebet in der Moschee Hände und Gesicht nach festem islamischen Ritus wäscht. Danach geht sie zu den Sozialarbeitern des Klinikums, um nachzufragen, ob für die irakische Familie eine Haushaltshilfe beantragt worden ist.

Seit rund vier Monaten sind Aysel Özdemir, Muslimin mit türkischen Wurzeln, und Jaaffar Dahasse, der tunesischer Abstammung ist, als muslimische Seelsorger ehrenamtlich im Klinikum unterwegs. Jeden Mittwochvormittag gehen sie über die Stationen und fragen nach muslimischen Patienten. Dann liegt es an den Patienten, ob sie das seelsorgerische Angebot annehmen wollen. „Manchmal besuche ich in den vier Stunden zwei Patienten, die viel Gesprächsbedarf haben, manchmal sind es deutlich mehr“, erzählt Aysel Özdemir.

Kopfbedeckung als großen Vorteil

Vor Jahren wurde die 42-Jährige wegen ihres Kopftuches nicht in den Schuldienst übernommen. Inzwischen ist sie freiberuflich als interkulturelle Beraterin tätig. Für ihre berufliche Laufbahn war das Kopftuch hinderlich, als muslimische Seelsorgerin im Krankenhaus sieht sie die Kopfbedeckung als großen Vorteil.

Aysel Özdemir erzählt von einer Szene auf der Intensivstation, als sie wegen ihres Tuches von einer Angehörigen angesprochen wurde. Die Frau war aus Dubai und mit ihrer Schwester hier. Mit schwersten Brandverletzungen war diese aus Dubai eingeflogen worden. „Die Kinder der Patientin sind bei dem Feuer ums Leben gekommen. Die Schwester bat um einen Imam, der die Nachricht überbringen sollte.“ Özdemir und ihr Kollege Dahasse schafften es tatsächlich, in kürzester Zeit den Imam einer arabischen Moschee in Stuttgart auf die Intensivstation zu holen. „Die Frau hat sich für die schwesterliche Hilfe in der Fremde bedankt“, sagt sie.

Aysel Özdemir klopft im nächsten Patientenzimmer auf der kleinen Palliativstation. Drinnen sitzt ein älterer Muslim in einem großen Rollstuhl. Die Ehrenamtliche drückt ihm die Hand, fasst seinen Arm und spricht Türkisch mit ihm, der Patient aber reagiert kaum. Özdemir holt eine Krankenschwester, die mit dem Mann zum Rauchen auf den Balkon geht. „Ich habe lange mit seiner Frau gesprochen und sie dafür eigens aus dem versammelten Familienkreis herausgeholt.“ Die Frau sei dankbar gewesen für diese Möglichkeit, offen reden zu können. Özdemir weiß: manchmal ist es heilsam, die am meisten belasteten Angehörigen für ein Gespräch von ihren Familien zu trennen. „Die Familienverbünde im Islam sind eng.“

In besonderer Weise Trost spenden

Bei der Klinikleitung ist man froh über die muslimischen Seelsorger. „Wir haben sehr viele Patienten muslimischen Glaubens. Gerade in belastenden Situationen wie einem Krankenhausaufenthalt ist die Rückbesinnung auf die Heimat und die Tradition von besonderer Bedeutung“, sagt Adalbert Erben, der Direktor für Service und Infrastruktur beim städtischen Klinikum. Seelsorger aus dem gleichen Kulturkreis und in der eigenen Sprache könnten in besonderer Weise Trost spenden. Erben plant, das Angebot langfristig weiter auszubauen und zu institutionalisieren.

Darauf hofft auch Josef Widersatz von der katholischen Krankenhausseelsorge. „Bei der großen Zahl muslimischer Patienten sind zwei Ehrenamtliche natürlich zu wenig.“ Grundsätzlich aber sei die muslimische Seelsorge eine wichtige Neuerung. „Das Problem ist nur, dass es nicht wie bei den christlichen Kirchen eine einheitliche islamische Gemeinde in Stuttgart gibt, sondern verschiedene voneinander unabhängige Moscheegemeinden.“ Deshalb sei nicht klar, wer der muslimische Auftraggeber der Ehrenamtlichen sei. Dennoch sei die islamische Seelsorge eine gute Sache, die weiterentwickelt werden müsse.