Bei deutschen Muslimen steigt der Fleischkonsum. Daher werden mehr Tiere nach den Regeln des Korans geschlachtet.

Gärtringen - Süleyman Karatepe hat das Schlachten von seinem Vater in der Türkei gelernt. Seit 1993 arbeitet er in Deutschland, seit 15 Jahren im Gärtringer Schlachthof. Aufrecht, hager und etwas verloren steht er vor einem leeren Fließband und wartet auf die Lämmer, denen er die Halsschlagader durchschneiden soll. Noch leuchtet sein blütenweißer Kittel zwischen den verschmierten Wachsschürzen seiner Kollegen. In seiner Rechten hält er ein Messer mit einem orangefarbenen Plastikgriff.

Karatepe, 46, gehört nicht zur Stammbelegschaft des schwäbischen Schlachthofs. Er arbeitet für die Firma Murat Lamm, die in Gärtringen und Horb Halal-Fleisch verkauft und Dönerläden beliefert. Als "halal" bezeichnen Muslime alle Dinge und Taten, die nach islamischem Recht erlaubt sind.

Schweinefleisch, Blut und Aas sind zum Verzehr nicht erlaubt. Auch auf fleischfressende Tiere mit Fangzähnen, Raubvögel, giftige Tiere, Schädlinge und Fische ohne Schuppen verzichten Muslime. Damit Fleisch halal ist, muss der Schlachtraum frei von Schweineblut und Alkohol sein. Der Schlachter wendet die Tiere vor dem Schnitt in Richtung Mekka – so will es der Koran. Gleichzeitig wird "bismillah" gerufen – grob übersetzt: Gott, ich rufe dich an! "Einmal ,bismillah‘ vor jedem Tier", sagt Mevlüt Kabalar, der Inhaber von Murat Lamm. Süleyman Karatepe, der schlachtende Arm Kabalars, nimmt das nicht so genau. "Einmal ,bismillah‘ vor der gesamtem Schlachtung reicht", sagt er und beginnt sein Tagewerk im Gärtringer Schlachthof.

Stromschlag als Kompromiss


Ein kräftiger Mann mit Schnurrbart und Goldkette bugsiert das erste Tier in einen Metallkäfig und greift zur Elektrozange. Das Lamm schnuppert an dem Gerät, das aussieht wie ein übergroßes Glätteisen, verfolgt jede seiner Bewegungen, bis es kurz zu Boden schaut. Der Bärtige drückt dem Lamm die Stromzange fest an die Schläfen. Das Tier zittert kurz, wird steif, lehnt regungslos an der Wand. Kein Schrei. Es riecht nach verbrannten Haaren. Aus dem geschlossenen Kiefer drückt etwas Schaum. Auf der Anzeige neben dem Käfig steht: "Automatik: Kopf – Gerät bereit."

Der Koran verlangt, dass die Tiere vor dem Schlachten nicht betäubt werden. In Deutschland ist das verboten. Der Kompromiss, den alle Schiiten und die allermeisten Sunniten daher akzeptieren, ist die Betäubung des Tieres durch einen Stromstoß. Das Tier empfindet anschließend keine Schmerzen mehr, sagen deutsche Veterinäre. Das Tier lebe noch, sagen muslimische Geistliche. Legal und halal.

Auch deutsche Schlachter betäuben mit der Elektrozange. Den Unterschied macht im Gärtringer Schlachthof einzig der Glaube und das Ritual des muslimischen Schlachters. Mit einem Ruck öffnet der Schnurrbärtige den kleinen Käfig, und das Lamm kippt seitlich auf das Fließband vor Süleyman Karatepe. Die steifen Beine des Tieres zeigen in Richtung der Fleischerhaken an der Decke, an denen es in wenigen Minuten abtropfen wird. Karatepe dreht das fünf Monate alte Lamm auf den Rücken, überstreckt das Genick, setzt das Messer mit dem orangefarbenen Griff an und zieht es dem Tier durch die Wolle. Aus der offenen Kehle quillt ein dicker Strom dunklen Blutes über eine Rinne in den Abguss.

Da Muslimen jedes Tierblut als unrein gilt, muss das Vieh beim Schnitt durch die Hauptschlagader noch leben. Nur wenn sein Herz noch schlägt, verlässt ausreichend Blut den Körper, sagen sie. Karatepe wischt das Messer am Bauch des Lammes ab und beugt sich über das nun wieder zuckende und tretende Geschöpf, als wolle er es trösten. "Reine Reflexe", sagt Natalia Quindt, die Tierärztin des Schlachthofs. "Nach der Betäubung empfinden die Tiere keine Schmerzen mehr." Trotzdem zuckten sie manchmal noch bis zu einer Stunde nach dem Schlachten.