Jahrelang zeigten nur wenige der in Stuttgart lebenden Briten Interesse am deutschen Pass. Das hat sich seit dem Brexit geändert.

Lokales: Mathias Bury (ury)

Stuttgart - Was ist hier eigentlich typisch britisch? Simone Louis überlegt. Vielleicht das „Collins German Dictionary“ im Regal? Dann geht sie in die Küche und kommt mit einem Glas Marmite zurück. „Ich glaube, es gibt nicht viele Leute hier, die das mögen“, sagt sie mit einem Grinsen. Das könnte hinkommen. Der Brotaufstrich aus Hefeextrakt wird selbst in Großbritannien mit dem Slogan beworben: „Love it or hate it“ – liebe es oder hasse es.

 

Auch mit der Zuneigung zum Herkunftsland ist das bei den Briten so eine Sache seit dem Brexit, zumindest wenn sie gegen den Austritt aus der EU sind. Simone Louis hat mit Nein gestimmt. Seit mehr als zwei Jahrzehnten lebt die 54 Jahre alte Grafikdesignerin nun in Stuttgart, all die Jahre hatte sie nur den britischen Pass. Natürlich hat sie sich immer mal wieder überlegt, die deutsche Staatsbürgerschaft anzunehmen. „Bei Stuttgart 21 hätte ich gerne mit abgestimmt“, sagt Simone Louis. Geändert hatte sie trotzdem nichts. Erst jetzt. „Der Brexit hat mir den letzten Anstoß gegeben“, erklärt sie.

Bekenntnis zu Europa

„Die Einbürgerungsurkunde habe ich jetzt“, sagt die 54-Jährige und zeigt auf das Dokument in der Klarsichtfolie auf dem Wohnzimmertisch. „Ich fühle mich als Europäerin – und ich will auch Europäerin bleiben.“ Nun muss sie nur noch den Pass beantragen. Wie viele ihrer Landsleute ist sie verunsichert, weil sie nicht weiß, was der Brexit für sie bedeutet. So fragt sie sich: Wird sie auch künftig so unkompliziert reisen können wie heute?

Geboren wurde Simone Louis im Norden Londons, als eine von drei Töchtern griechisch-zypriotischer Eltern. Schon die hatten nur britische Papiere, Zypern gehörte bis 1960 einige Jahrzehnte zum Empire. „Ich fühle mich als Londonerin“, sagt die 54-Jährige, wenn sie sich selbst irgendwie zuordnen soll. Die vielen Nationalitäten, die vielen Hautfarben, der Humor, das findet sie bis heute unvergleichlich an der britischen Metropole. „Das hat mir hier am Anfang gefehlt“, erinnert sie sich. Und London habe ja auch mehrheitlich gegen den Brexit gestimmt.

Der Brexit gab den Ausschlag

Auch Simone Louis hat dort Verwandte und Bekannte, die für den Austritt aus der EU sind, auch gebildete Leute. Es seien vom Ja-Lager viele Lügen verbreitet worden. „Das war wie Brainwashing“, Gehirnwäsche, sagt sie. Dabei hat sie Verständnis für Kritik an der EU, deren Regulierungswut zum Teil die Grenze zum Lächerlichen überschreite. Darüber gerate aber in Vergessenheit, dass die EU ein historisches Bündnis für den Frieden sei. „Und deshalb muss man doch nicht gleich austreten“, findet sie. Nun hat die Britin bald einen Doppelpass. Wie sich Deutschsein anfühlt, weiß sie zwar nicht, aber sie findet: Das passt.

„Jetzt bin ich froh, dass ich die doppelte Staatsbürgerschaft habe“, sagt Simone Louis. Schließlich seien die meisten bedeutenden Dinge ihres Lebens hier geschehen. 1994, nach eineinhalb Jahren Fernbeziehung mit ihrem Mann, ist sie nach Stuttgart gezogen. „Hier haben wir geheiratet“, erzählt sie. Und seit sie sich für Flüchtlinge engagiert, ist ihr Heimatgefühl noch gewachsen. „Angela Merkel finde ich toll. Die ist menschlich, damit kann ich mich identifizieren. Das ist für mich Deutschland.“ Erst Anfang April war Simone Louis in Berlin, für die Malteser nahm sie an einem Empfang der Kanzlerin für ehrenamtliche Flüchtlingshelfer teil.

Einkaufen wie in Großbritannien

Auch wenn Simone Louis noch immer findet, dass in Großbritannien etwas mehr gelacht wird als hierzulande, hat sie auch in Stuttgart Orte besonderer Heiterkeit ausgemacht. „Besenwirtschaften sind doch sehr witzig“, findet die frischgebackene Doppelstaatlerin. Und wenn ihr mal wieder der Sinn steht nach echt britischem Geplauder und der Würze englischen Humors, wie man dies in kleinen Geschäften in London täglich erleben könne, dann geht sie eben ins Heusteigviertel: in den English Tearoom.