Boris Johnson, der Kopf der Brexit-Kampagne, will nicht Premierminister werden. Nicht ganz freiwillig – engste Mitstreiter haben sich in den letzten Tagen von ihm losgesagt.

Korrespondenten: Peter Nonnenmacher (non)

London - Neun Mal hatte Michael Gove in den letzten Monaten beteuert, dass er nicht das Zeug habe zum Premierminister. Dass er für dieses Amt „ungeeignet“ sei. Dann, in der Nacht auf Donnerstag, überlegte es sich der britische Justizminister einfach anders. Mit einem Mal war er der Richtige und hatte das Zeug zur Führung des Landes. Pech für seinen Brexit-Kompagnon Boris Johnson, dass Gove gleichzeitig in aller Öffentlichkeit Londons Ex-Bürgermeister die Qualifikation zum Partei- und Regierungschef absprach. Mit diesem wohlgezielten Stich dahin, wo man Johnsons Herz vermuten musste, war es für den auch schon vorbei.

 

Niemand hatte an diesem Morgen erwartet, dass Gove überhaupt kandidieren würde. Zuvor war er wochenlang, wie ein guter Adjutant, an Johnsons Seite gestanden. Es hieß, Johnson wolle Gove zum Finanz- oder Außenminister machen, wenn er erst einmal Regierungschef sei. „Boris“, populär bei den Wählern, war stets als Favorit für David Camerons Nachfolge betrachtet worden. Gove war seine rechte Hand. Beide zusammen hatten während der jüngsten Referendumskampagne Tag auf Tag unterm Brexit-Banner zusammen verbracht.

Der wortgewandte Schelm wird still

Für Johnson, den wortgewandten Schelm, den wohlgelittenen Bürgermeister Londons, kam die Aktion Goves wie ein Blitz aus heiterem Himmel. All diese Jahre hatte er darauf gewartet, dass Camerons Platz frei werden würde. Rechtzeitig zum Referendum stellte er sich auf die Seite der EU-Gegner, obwohl er vorher eigentlich nie für einen Austritt plädiert hatte. So verlieh er der Brexit-Seite das nötige politische Gewicht und gab sich selbst eine Plattform und drängte Cameron mehr und mehr zum Ausgang, bis der das Referendum und so allen Halt verlor.

Und nun? Nun ließ Johnson ausgerechnet sein wichtigster Verbündeter fallen. Dabei war es natürlich nicht nur Gove, der Johnsons Hoffnungen so grausam zerstörte. Schon während der Kampagne hatten viele Tory-Abgeordnete an Johnson zu zweifeln begonnen. Dessen lockere Parolen, sein Hinweggehen über offenkundige Probleme hatten seine konservativen Kollegen nicht sehr beeindruckt.

Als er am vergangenen Montag in seiner wöchentlichen Rubrik im „Daily Telegraph“ sich erst recht in Widersprüche verwickelte, begann sich Widerstand gegen ihn zu formieren. Es war offensichtlich, dass Johnson keinen Plan für Austrittsverhandlungen mit der EU hatte. Er vollführte, statt Klarheit zu schaffen, rhetorische Pirouetten. Viele Brexit-Torys fürchteten auch, dass Johnson am Ende ihr Land nicht wirklich aus der EU führen würde. Sie wollten „eine klare Linie“. Sie wollten sich ihres Brexit sicher sein.

Die früheren Dementis vergessen

Mehr und mehr von ihnen drängten Gove dazu, seine früheren Dementis zu vergessen und sich gegen Johnson zu stellen. Die Stimmung kippte. Johnson-Gefolgsleute liefen am Donnerstagmorgen zu Gove über. Kurz vor Schließung der Kandidatenliste am Mittag zog Johnson daraus die bittere Konsequenz. Er verlas das lange Regierungsprogramm, das er sich zurechtgelegt hatte und rief nach einer neuen Führungsfigur für die Konservativen. Dann fügte er hinzu: „Ich kann diese Person nicht sein.“

Gove hofft nun, sich als Statthalter des Brexit-Lagers die nötige Zustimmung der Fraktion und danach die der Partei zu verschaffen. Im nun kommenden Wettkampf steht er einer formidablen Gegnerin gegenüber. Innenministerin Theresa May gilt als die neue Favoritin in dieser Schlacht. Und May, die seit 2010 das Home Office leitet, hat keinerlei Zweifel an den eigenen Führungsqualitäten. „Ich bin Theresa May“, stellte sie sich gestern auf der Pressekonferenz zu ihrer Kandidatur vor. „Und ich bin die beste Person für den Premier-Posten.“

Zweikampf zwischen Gove und May

Obwohl es noch drei andere Kandidaten gibt, wird weithin erwartet, dass Gove und May die Sache unter sich ausmachen. So unterschiedlich in ihren ideologischen Standpunkten sind sie übrigens gar nicht – wiewohl sie im Referendum auf gegensätzlichen Seiten standen. Beide sind von der Parteirechten. Und beide vertreten recht harte Positionen. In Sachen Immigration zum Beispiel war es May, die bei einer Aktion gegen illegale Einwanderer Home-Office-Lieferwagen mit der Poster-Aufschrift „Go Home“ (Geht nach Hause) durchs Land fahren ließ.

Im Blick auf Austrittsverhandlungen mit der EU hat Gove bisher die radikalste Position eingenommen. Er will sich gar nicht erst um britische Teilhabe am EU-Binnenmarkt bemühen. Handelsverträge sollen die alten Bande ersetzen. Nur so halte man sich die Zuwanderer vom Leibe, meint Gove. May betonte, am Referendumsresultat nicht rütteln zu wollen. „Brexit bedeutet Brexit“, erklärte sie.