Ministerpräsident Kretschmann weist die Forderung aus Ankara zurück, Einrichtungen der Gülen-Bewegung im Südwesten zu überprüfen. Im eigenen Land lässt Erdogan Zeitungen und Sender schließen sowie immer mehr Journalisten und Militärs verhaften.

Ankara/Stuttgart - Die Türkei hat die baden-württembergische Landesregierung aufgefordert, Einrichtungen der Gülen-Bewegung unter die Lupe zu nehmen. Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) sagte der „FAZ“, dies habe ihn in höchstem Maße befremdet. „Hier sollen Leute auf irgendeinen Verdacht hin grundlos verfolgt und diskriminiert werden“, rügte er. Ihm seien keine Belege für die Behauptung bekannt, dass die Bewegung des Exil-Predigers Fethullah Gülen für den Putsch verantwortlich sei.

 

Demzufolge erhielt die Landesregierung ein Schreiben vom türkischen Generalkonsul in Stuttgart. Die Regierung sei aufgefordert worden, Vereine, Einrichtungen und Schulen, die nach Meinung der türkischen Regierung von der Gülen-Bewegung „betrieben“ werden, einer Prüfung zu unterziehen und eine neue Bewertung vorzunehmen. „Genau das werden wir selbstverständlich nicht machen“, sagte Kretschmann. Auch Grünen-Bundeschef Cem Özdemir kritisierte die Einflussversuche. Der Arm des Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan möge in viele Teile der türkischen Gesellschaft reichen. „In Stuttgart, Berlin und anderswo hat er aber nichts verloren“, sagte Özdemir.

Gegen Gülen selbst wird seit Januar vor einem Istanbuler Gericht wegen „Gründung einer bewaffneten Terrororganisation, Spionage, Umsturzplänen“ verhandelt – in Abwesenheit. Forderungen, die USA sollten ihn ausliefern, blieben bisher erfolglos. Dass Ankara auch im Ausland Gülen-Anhänger aufspüren will, hatte zuvor Außenminister Mevlüt Cavusoglu in einem Interview mit CNN Türk deutlich gemacht. Er sprach davon, einige türkische Richter und Staatsanwälte, die der Bewegung angehörten, hielten sich in Deutschland auf. Sie müssten ausgeliefert werden. Die Bundesregierung ist offenbar mit zwei Fällen befasst. Aus Berliner Regierungskreisen hieß es, es lägen „keine Erkenntnisse“ dazu vor, dass sich „die beiden Staatsanwälte tatsächlich in Deutschland aufhalten“. Ein Auslieferungsbegehren wäre auch politisch brisant für Berlin, da den Gülen-Anhängern die Todesstrafe drohen könnte: Erdogan will diese rückwirkend für Hochverrat und Terrordelikte wieder einführen.

Medien in der Türkei schwer unter Druck

Im eigenen Land hat der Machthaber seine Kritiker in den Medien ins Visier genommen: Er ordnete an, 131 Medien-Organisationen zu schließen, darunter 45 Zeitungen, 16 TV-Sender, 29 Verlage und drei Nachrichtenagenturen. Die Namen der betroffenen Medien wurden zunächst nicht veröffentlicht. Nach einem Bericht von CNN Türk trifft das Verbot unter anderem die oppositionelle Tageszeitung „Taraf“, die immer wieder mit regierungskritischen Enthüllungen aufgewartet hatte, den prokurdischen Sender IMC-TV, der Sender Kanaltürk, die Tageszeitung „Zaman“ und die Nachrichtenagentur Cihan. „Zaman“ und Cihan werden der Gülen-Bewegung zugerechnet. „Zaman“, eines der auflagenstärksten Blätter, steht seit März unter staatlicher Zwangsverwaltung. Am Mittwoch erließ die Staatsanwaltschaft Haftbefehle gegen 47 frühere Mitarbeiter von „Zaman“. Am Montag hatte ein Istanbuler Anti-Terror-Staatsanwalt 42 Journalisten zur Fahndung ausgeschrieben.

Auch im Militär gehen die „Säuberungen“ weiter. Am Mittwoch wurden 1684 Soldaten unehrenhaft aus den Streitkräften entlassen, darunter 87 Generäle der Landstreitkräfte, 32 Admiräle und 30 Luftwaffengeneräle. Auch ihnen werden Verbindungen zu Gülen vorgeworfen. Zwei weitere ranghohe Generäle reichten am Donnerstag ihren Rücktritt ein, kurz bevor in Ankara der Oberste Militärrat (YAS) zusammentrag – im Amt des Ministerpräsidenten statt im Gebäude des Generalstabs.

Kanzlerin Angela Merkel mahnte Erdogan von Berlin aus, die „Verhältnismäßigkeit“ zu wahren. Bei aller Berechtigung für ein Vorgehen gegen Putschisten müsse dieses Prinzip in einem Rechtsstaat „unter allen Umständen“ gewährleistet werden. Deutlicher wurde Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD): Die Reaktionen gingen „weit über jedes Maß hinaus“, sagte er den „Ruhr Nachrichten“.