Experten erwarten nach dem Klimatreffen in Paris den rascheren Abschied von fossilen Brennstoffen sowie Maßnahmen für höhere Energieeffizienz. Die Umweltministerin will nun einen Klimaschutzplan vorlegen.

Stuttgart - Noch vor der Sommerpause 2016 will die Bundesregierung einen Klimaschutzplan 2050 vorlegen und sich erst dann konkret zum Ausstieg aus der Kohle äußern, wie ihn die Beschlüsse des Pariser Klimagipfels nahelegen. „Es ist völlig klar, dass wir bis spätestens Mitte des Jahrhunderts aus der Nutzung fossiler Energieträger aussteigen müssen“, sagte Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) am Montag in Berlin. Dieser Prozess müsse mit allen Beteiligten debattiert werden – mit Bund, Ländern, Kommunen, Beschäftigten, Unternehmen und Gewerkschaften. Der Kohleausstieg müsse sozial verträglich sein und in einigen Regionen „abgefedert“ werden. „Es geht um Strukturwandel ohne Strukturbrüche.“

 

Die Ministerin räumte ein, dass die in Paris beschlossene Begrenzung der Erderwärmung auf unter zwei Grad nicht einfach werde. Deutschland sei mit seinen 2007 beschlossenen Vorsätzen zum Klimaschutz aber auf gutem Kurs. „Wir haben mehr Verantwortung denn je, diese Ziele umzusetzen.“

Expertin verlangt Fracking-Verbot

Ann-Kathrin Schneider, Weltklimaexpertin beim Naturschutzverband BUND, sieht die deutsche Politik unter starkem Zugzwang: „Alle Länder haben sich auf den Ausstieg aus Kohle, Öl und Gas geeinigt. Daher wird Deutschland konkrete Schritte tun müssen, die ältesten Dreckschleudern, die Braunkohlekraftwerke, dicht zu machen.“ Anders seien die in Paris erneuerten deutschen Klimaziele nicht zu erreichen: Die Reduktion der Emissionen bis 2020 um 40 Prozent gemessen am Vergleichsjahr 1990 sowie der Ausstieg spätestens 2050 aus den fossilen Energien. Deutschland sei in Paris „sehr stark aufgetreten“, sagt Schneider. Nun gehe es darum, den Worten Taten folgen zu lassen. „Es kann nicht sein, dass die Kohlekraftwerke bis 2049 laufen und dann alle zugemacht werden.“

Da zum Ausstieg aus den fossilen Energien der Verzicht auf Gas gehört, ist es für die Klimaexpertin ein Gebot der Stunde, ein Frackingverbot zu erlassen. Fracking – bei dem Gas mittels Wasser und Chemikalien aus tiefem Gestein gefördert wird – ist in Deutschland noch im Pionierstadium. Zum Abschied von der Kohle erwartet Schneider, dass Ministerin Hendricks auch von der SPD geführte Kohleländer wie Nordrhein-Westfalen oder Brandenburg sowie Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) „in die Pflicht nimmt“. Auf dem SPD-Parteitag sei zum Kohleausstieg leider wenig zu hören gewesen. „Große Schritte“ könne Deutschland unternehmen, wenn es die Energieeffizienz und das Stromsparen ernst nehme.

Auch die Energiewende von unten – durch Bürger – sollte ermutigt werden. Ihr laufe aber das geplante Ausschreibungsmodell für das Erneuerbare Energie-Gesetz (EEG) zuwider. Ab 2017 soll der Preis für Strom aus Erneuerbaren nicht per Gesetz geregelt, sondern durch Ausschreibungen ermittelt werden, die geforderte Hinterlegung von 30 000 Euro pro Megawatt bedeutet für kapitalschwächere Investoren das Aus. Bürgerwindparks fühlen sich ausgebootet.

Wirtschaft warnt vor ungleichen Wettbewerbsbedingungen

„Jetzt fängt die Arbeit erst an“, sagt Karsten Smid, Energieexperte bei Greenpeace. „Raus aus der Braunkohle bis 2030, Stilllegung des letzten Kohlekraftwerks 2040“ – so lautet seine Forderung für einen Klimafahrplan. „Es ist unter den jetzigen Vorzeichen absurd, dass in Deutschland die fünf dreckigsten Kohlekraftwerke Europas stehen.“ Darunter seien Jänschwalde in Brandenburg sowie Neurath in Nordrhein-Westfalen. Ebenso unsinnig seien Pläne für ein neues Kohlekraftwerk bei Stade. Vor der Kohlelobby und der Gewerkschaft IG BCE sei Minister Gabriel leider schon mal eingeknickt, da er nur 2,7 Gigawatt Kohlekraft bis 2020 stillegen will statt die vierfache Menge, wie ursprünglich geplant.

Die deutsche Wirtschaft hat andere Erwartungen an die Politik: „Das Pariser Abkommen bedeutet, dass Deutschland und Europa weiterhin ihre Industrien vor ungleichen globalen Wettbewerbsbedingungen schützen müssen“, sagt Holger Lösch vom Bundesverband der Deutschen Industrie. Es fehlten verbindliche Regeln. Die Wirtschaft ist besorgt, dass Deutschland allein die ambitionierten Ziele verfolgt. Auch beim Deutschen Industrie- und Handelskammertag herrscht Skepsis, ob die Staaten die freiwilligen Maßnahmen zur CO2-Reduktion umsetzen werden.