Welche Lehren muss man aus den Attentaten von Barcelona und Cambrils ziehen? Eine Analyse.

Korrespondenten: Martin Dahms (mda)

Barcelona - Hinterher ist man immer klüger. Und darum geht es genau, wenn wir uns die Hintergründe der Terrorattentate von Barcelona und Cambrils näher anschauen: klüger zu werden, Lehren zu ziehen. Es ist schwer, den Terrorismus zu bekämpfen und vor allem: ihn zu verhindern. Dass in Katalonien 15 Menschen starben, ist nicht das Versagen von einem Einzelnen oder mehrer Personen. Aber vielleicht – hoffentlich – ist es möglich, in diesem Kampf besser zu werden.

 

Als am Morgen des 11. März 2004 in Madrid vier Vorortzüge explodierten, war Spanien auf einen solchen Schlag nicht vorbereitet. Nicht zufällig war die These der ersten Stunden, dass hinter jenen Anschlägen die baskische Eta stecke. Den Eta-Terror kannte Spanien, seit 1968 hatte die Organisation Polizisten, Militärs und politische Gegner ermordet. Aber ein Anschlag solchen Ausmaßes, mit 191 Toten, das war neu. Wenige Stunden nach den Explosionen kam der erste Verdacht auf, der sich bald erhärtete: Es war ein islamistisches Al-Kaida-Kommando, das die Bomben in den Zügen deponiert hatte. Der mörderische Dschihad war in Spanien angekommen.

Seit 1994 war in Spanien eine der vier europäischen Al-Kaida-Zellen aktiv

Es hatte schon zuvor Anzeichen für die islamistische Bedrohung gegeben. Seit 1994 war in Spanien eine der vier europäischen Al-Kaida-Zellen (neben Hamburg, London und Mailand) aktiv. Im Juli 2001 trafen sich zwei der Köpfe der Attentate vom 11. September jenes Jahres, Mohammed Atta und Ramzi Binalshibh, unbemerkt in Katalonien. Sie verbrachten mehrere Nächte in Cambrils, dem Badeort, der an diesem Freitagmorgen zum Schauplatz des zweiten Terroranschlags nach Barcelona wurde. Im November 2001 wurde die spanische Al-Kaida-Zelle zerschlagen. Aus Rache dafür (und nicht wegen Spaniens Teilnahme am Irakkrieg, wie viele spanische Linke bis heute glauben wollen) begannen die Terroristen, die Attentate von Madrid zu planen und führten ihre Pläne zweieinhalb Jahre später aus.

Auch damals fragten sich Politik, Polizei und Geheimdienst, was schiefgelaufen war. Und sie stellten fest, dass für den Kampf gegen die Eta alle denkbaren Mittel zur Verfügung standen, für den Kampf gegen den islamistischen Terror aber nicht. Es fehlte selbst an Übersetzern aus dem Arabischen, um verdächtige Dokumente analysieren zu können. Das änderte sich von einem Tag auf den anderen. Die Einheiten von Polizei und Geheimdienst, die sich um die radikale Islamistenszene kümmerten, wurden massiv aufgestockt. Noch im Mai 2004 wurde das Nationale Antiterroristische Koordinationszentrum gegründet, um das Wissen von Polizei, Guardia Civil, Gefängnisverwaltung und Geheimdienst zu bündeln. Die Kooperation lohnte sich. Spanien blieb von weiteren islamistischen Attentaten verschont – bis zum vergangenen Donnerstag. Die Terrorzelle von Ripoll, der Kleinstadt in der nordkatalanischen Provinz, aus der die meisten Attentäter der jüngsten Anschläge stammen, war nicht auf dem Radar der Fahnder.

Vielleicht hätte das Attentat verhindert werden können

Was ist schiefgelaufen? Die Ermittler konzentrieren sich auf den 45-jährigen Imam, einen Marokkaner wie die meisten Mitglieder der Terrorzelle. Er hat mutmaßlich die anderen, jüngeren Männer radikalisiert. Er tat das nicht in der Moschee, sondern außerhalb. Keiner bekam etwas mit. In Ripoll wusste niemand, dass der Imam wegen Drogenhandels im Gefängnis gesessen hatte. Niemand bat ihn um ein Führungszeugnis, wie es eine Gemeinde im belgischen Diegem nahe Brüssel getan hatte – und ihm eine Stelle als Imam verweigerte, weil er das Führungszeugnis nicht vorlegen wollte. Vielleicht hätten die Attentate verhindert werden können, wenn diejenigen, die mit dem Imam zu tun hatten, aufmerksamer gewesen wären. Das ist kein Aufruf zur kollektiven Paranoia. Aufmerksamkeit ist noch kein Verfolgungswahn. Rechtzeitig die Zeichen der Gefahr zu erkennen: Davon können Menschenleben abhängen.