Die CDU-Schlappe in Niedersachsen und der Kurz-Triumph in Österreich sind für Angela Merkel Ballast auf der Reise nach Jamaika, meint StZ-Autor Armin Käfer.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Armin Käfer (kä)

Stuttgart - In der Politik hängt vieles mit vielem zusammen, auch Ereignisse, die scheinbar nichts miteinander zu tun haben – wie zum Beispiel eine Wahl in der norddeutschen Tiefebene und eine in der Alpenrepublik Österreich, die zufällig am gleichen Sonntag stattgefunden haben. Es liegen Welten zwischen dem Landtag im historischen Leineschloss und dem Nationalrat an der Wiener Ringstraße, zwischen dem trotzigen Sieg des spröden Stephan Weil und dem Triumph des smarten Sebastian Kurz. Dennoch wird in Berlin nicht folgenlos bleiben, was in Hannover und Wien passiert ist. Die beiden Wahlergebnisse sind für die Kanzlerin Ballast auf dem Weg nach Jamaika – zu einer Koalition in den Nationalfarben der Karibikinsel.

 

Angela Merkel leugnet das. Aber sie hat vor drei Wochen auch geleugnet, dass sie von ihrem eigenen Wahlergebnis enttäuscht sei und dass es jetzt dringend Korrekturbedarf für die CDU gebe, dass die Zeit der von ihr repräsentierten Behäbigkeit vorbei ist, dass nach dem vermeintlich schwersten Wahlkampf jetzt wahrhaftig die schwerste Regierungsbildung folgt.

Merkel sagt, die Landtagswahl in Niedersachsen sei bloß eine Landtagswahl und Österreich kein Vorbild für Deutschland. Doch ihr Job ist seit Sonntag nicht einfacher geworden. Mit den beiden Wahlen in Hannover und Wien vermehrte sich die Zahl der Probleme, die der Kanzlerin akut zu schaffen machen, um weitere fünf.

Erstens ist das miserable Resultat der Niedersachsen-CDU ein Dämpfer für die merkeltreue Hälfte der Union. Es zeigt: Aus Berlin kommt zurzeit kein Rückenwind für schwarze Wahlkämpfer. Merkel ist für ihresgleichen keine Erfolgsgarantin mehr. Sie hätte sich gestärkt fühlen können für die anstehenden Jamaika-Gespräche, wenn es gelungen wäre, der CDU im Lande Ernst Albrechts wieder an die Macht zu verhelfen. Nun gilt das Gegenteil. Als Aperitif zur großen Verhandlungsrunde wird Kamillentee statt Mojito serviert.

Zweitens verleiht der Coup des Nachwuchskonservativen Sebastian Kurz den Merkel-Kritikern Aufwind. Sie werden dessen Strategie, mit einem strammen Rechtskurs die Rechtspopulisten auf Distanz zu halten, sehr wohl als Erfolgsrezept verstehen – ob es Merkel nun passt oder nicht. Das Beispiel des österreichischen Politjünglings, der sich zu einer Art Alpen-Macron gemausert hat, wird auch Debatten über eine Erneuerung der Union in Haupt und Programmatik befeuern. Kurz steht – Punkt drei – für eine Politik, die konservative Unionisten von Merkel erwartet hätten. Dem ramponierten CSU-Chef Horst Seehofer wird das wohl nichts mehr helfen. Allen, die so denken wie er, aber schon. Sie dürfen sich ermuntert fühlen.

Ballast Nummer vier für die Reise nach Jamaika: Die Grünen, in Niedersachsen eher links gepolt, wurden dort aus der Regierungsverantwortung verdrängt. Ob das die Fundis eher kleinlaut werden lässt oder widerborstiger, lässt sich noch nicht absehen. Und die Freidemokraten, die sich in Hannover einer Ampelkoalition verweigern, führen – fünftens – vor, dass sie keineswegs um jeden Preis regieren müssen.

Welche Rückschlüsse lassen sich daraus für Berlin ziehen? Merkel stehen beschwerliche Tage bevor. Sie selbst rechnet damit, dass aus Tagen lange Wochen werden könnten, bis auch nur ein Beschluss zu fassen ist, ob das ins Auge gefasste Regierungsmodell für die Praxis taugt.

Der Umgang mit allen potenziellen Koalitionspartnern ist nach diesem Wochenende schwieriger denn je. CSU und FDP werden sich in ihrer Eigenwilligkeit bestärkt sehen. Auch in der eigenen Partei macht sich Unmut breit. CDU-Veteran Wolfgang Schäuble verleiht ihm seine Stimme, so wird berichtet. Mit dem Ausscheiden aus dem Kabinett ist er der Kanzlerin noch weniger zur Loyalität verpflichtet. Bis Jamaika ist es eine weite Reise.