CDU und CSU sind kurzzeitig befriedet, ein Aufbruch aber ist das nicht. Inhaltliche Impulse werden von den neuen Koalitionspartnern kommen müssen, meint unser Berliner Korrespondent Christopher Ziedler.

Berlin - Der schwedische Regisseur Ingmar Bergman konnte, als er 1973 seine „Szenen einer Ehe“ drehte, noch nichts von der politischen Beziehung Angela Merkels mit Horst Seehofer wissen. Sein Film, in dem die glückliche Fassade kurz nach einer öffentlichen Liebesinszenierung zu bröckeln beginnt, beschreibt die Lage der Parteivorsitzenden von CDU und CSU dennoch gut: Auch sie gaukelten lange Harmonie vor, bis im Flüchtlingsherbst 2015 ein tiefer Graben zwischen ihnen sichtbar wurde.

 

Den Formelkompromiss zur Obergrenze, die zum Richtwert umetikettiert worden ist, hätte Bayerns Ministerpräsident früher haben können. Dass Grundgesetz und Genfer Flüchtlingskonvention weiter gelten müssen, war klar. Eine Zusage, beim Überschreiten der Zielvorgabe politisch tätig zu werden und den Richtwert anzupassen, ist weniger kontrovers. Das erste Unwetter auf der politischen Seereise nach Jamaika ist damit umschifft. Die Sondierungsgespräche können beginnen. Als Aufbruchssignal taugt die Einigung aber nicht, vielmehr scheint einzig die Machtperspektive die Partner bewogen zu haben, sich noch einmal zusammenzuraufen.

Bei vielen sozialen Themen blank

Inhaltlich wirken beide ausgezehrt: Die CSU hat sich zu lange auf das Poltern verlegt. Die CDU war, wie viele Wahlkämpfer im Nachhinein erschüttert feststellen, bei zentralen Gesellschaftsthemen wie Rente und Pflege blank. Es gibt jenseits von Überschriften kaum eine Vorstellung davon, wie Klimaschutz, Digitalisierung oder Europa neu zu gestalten sind. Ganz zu schweigen von einem schlüssigen Konzept für mehr soziale Gerechtigkeit – also dem Thema, das maßgeblich zum Gefühl „Die kümmern sich nur um Flüchtlinge und nicht um uns“ beigetragen und die AfD stark gemacht hat. Die Sondierungen vom Sonntag wirkten so wie kleinliche Streitereien in einer Zwangsehe, weil die Partner zum gemeinsamen Regieren verdonnert sind.

Nicht einmal die unionsinternen Probleme sind auf Dauer gelöst. Sie können im Zuge des Verhandlungsprozesses mit Grünen und Liberalen jederzeit wieder aufbrechen. Erst recht vor der Wahl in Bayern 2018 wird die CSU versucht bleiben, in der Regierung Opposition zu spielen. Noch gravierender ist aber, dass die beiden Vorsitzenden nach den herben Dämpfern bei der Bundestagswahl angeschlagen sind, Misstrauen bei vielen Bürgern auslösen und Personaldebatten ins Haus stehen.

Keine Felsen in der Brandung mehr

Seehofer muss nach dem Parteitag Mitte November nicht mehr zwingend CSU-Chef sein. Aber auch Merkel wird in der CDU nicht mehr uneingeschränkt als jener Fels in der Brandung gesehen, zu der die Union sie noch im Wahlkampf stilisiert hat. Das hängt weniger an Merkels bisher schlechtestem Wahlergebnis, sondern am anschließenden Umgang damit. Der für sie inzwischen gefährliche Weiter-so-Verdacht steht im Raum. Wenn Merkel nun erneut einer härteren Linie gegenüber Flüchtlingen zugestimmt hat, mag das Kritiker besänftigen, aber jene enttäuschen, die ihre Standhaftigkeit geschätzt haben.

Es macht Merkels strategische Lage nicht einfacher, dass sie mit der Jamaikakoalition nur eine realistische Machtoption hat. Damit die Gespräche nicht scheitern, wird sie mit FDP und Grünen für die Parteibasis weitere schmerzhafte Kompromisse eingehen müssen. Ob sich die um ihre Existenz bangende SPD im Fall eines Scheiterns der Jamaika-Gespräche doch noch einmal bei ihrer staatspolitischen Verantwortung packen ließe, steht in den Sternen – und es ist keineswegs ausgemacht, dass Merkel bei Neuwahlen erneut Kanzlerkandidatin würde. Sie steckt auch nach der Einigung mit der CSU politisch in der Bredouille. Ihre Union, weiter mit sich selbst beschäftigt, bleibt ein wackeliges Konstrukt. Die inhaltlichen Impulse einer möglichen neuen Regierung werden von Liberalen und Grünen kommen müssen.