Die Atomkatastrophe in Japan hat Folgen für die deutschen Atomkraftwerke. Die Bundesregierung setzt die Laufzeitverlängerung aus.

Berlin - Die Bundesregierung will ihre erst im Herbst beschlossene Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke für drei Monate aussetzen und als Konsequenz ältere Kraftwerke sofort vom Netz nehmen. „Das wäre die Konsequenz, sonst wäre es ja kein Moratorium“, sagte Merkel am Montag in Berlin auf die Frage, was mit jenen Kraftwerken passiere, deren Reststrommengen nach der alten, rot-grünen Regelung eigentlich verbraucht seien.

 

Dies betrifft offensichtlich das Kraftwerk Biblis A in Hessen und das AKW Neckarwestheim I in Baden-Württemberg. In Baden-Württemberg wird am 27. März ein neuer Landtag gewählt. Merkel unterstrich, dass für das Moratorium nach ihrer Ansicht keine Gesetzesänderung nötig sei. Sie werde mit den Betreibern erörtern, was dies bedeute und sie werde diese Frage an diesem Dienstag auch mit den Ministerpräsidenten der Länder mit Atomstandorten besprechen.

Vize-Kanzler Guido Westerwelle (FDP) bekräftigte die Wende in der deutschen Atompolitik nach der Katastrophe in Japan. „Das Moratorium ist keine Vertagung. Das Moratorium ändert die Dinge“, sagte er. Unabhängige Experten müssten jetzt eine neue Risikoanalyse erstellen. Auf jeden Fall müsse der Ausstieg aus der Atomenergie in Richtung erneuerbarer Energien beschleunigt werden, sagte Westerwelle.

Röttgen: Wir müssen neu über Sicherheit reden

Die längeren Laufzeiten um durchschnittlich 12 Jahre waren erst im Herbst beschlossen worden. Die sieben bis 1980 ans Netz gegangenen Meiler dürfen acht Jahre länger laufen, die jüngeren 14 Jahre. Wenn die Laufzeitverlängerung komplett gekippt werden sollte, müssten Bundestag und Bundesrat ein neues Atomgesetz verabschieden. Die Regierung steht unter Zeitdruck. Am 20. März wird in Sachsen-Anhalt und am 27. März in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz jeweils ein neuer Landtag gewählt

„Wir müssen umfassend neu über Sicherheit reden, denn wir haben eine ganz neue Erfahrung gemacht“, sagte Röttgen. „Das hat auch Auswirkungen für die deutsche Situation.“ Er betonte: „Je länger Kernkraftwerke laufen, desto länger begleitet uns Restrisiko. Und wir müssen auch über Risiken neu reden, neue Annahmen treffen.“ Dabei dürfe es keine Tabus geben. Auch die CDU müsse neu über die Sicherheit der Atomkraftwerke diskutieren.

Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) warnte vor Panikmache, schloss aber Konsequenzen nicht aus. „Nach menschlichem Ermessen kann das bei uns nicht passieren. Bei uns gibt es keine Tsunamis“, sagte der CDU-Vize vor einer Sitzung der Parteispitze. Er betonte aber: „Wir werden mit Sicherheit eine Sicherheitsüberprüfung machen.“ Die Ministerpräsidenten wollen sich an diesem Dienstag mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) treffen.

Baden-Württembergs Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) hatte eine Verkürzung der Atomlaufzeiten am Sonntag nicht mehr grundsätzlich ausgeschlossen. Der CSU-Umweltexperte Josef Göppel verlangte eine rasche Abkehr von längeren Laufzeiten. „Es gibt bestimmte Reaktortypen in Deutschland, die in Hinblick auf Katastrophenfälle keine optimale Sicherheitsarchitektur haben“, sagte Göppel der Nachrichtenagentur dpa.

SPD-Spitze erneuert Forderung nach schnellem Ausstieg

Die SPD-Spitze bekräftigte ihre Forderung nach einem schnellen Ausstieg aus der Atomenergie. SPD-Chef Sigmar Gabriel forderte mehr konkrete Schritte für die Sicherheit der Kraftwerke. „Das Schlimmste, was Frau Merkel und Herr Röttgen getan haben, war die Absenkung der Mindeststandards in den Kernkraftwerken, das muss sie rückgängig machen“, sagte er vor einer Sitzung des SPD-Präsidiums in Mainz.

Grünen-Chefin Claudia Roth sagte dem Bayerischen Rundfunk: „Kein Reaktor ist sicher bei Kernschmelze, auch kein deutscher Reaktor ist sicher. Und das hat gar nichts mit einem Erdbeben zu tun.“ Der Grünen-Fraktionsvorsitzende Jürgen Trittin warf Merkel im Sender NDR Info bei der Atomdebatte „ein erbärmliches Spiel auf Zeit“ vor.

EU-Energiekommissar Günther Oettinger lud die Energieminister der Europäischen Union für diesen Dienstag zu einem Energiegipfel ein. Auch Kontrollbehörden, Energieunternehmen und Hersteller der Kernkraftwerke sollten teilnehmen. Es gehe um technische, rechtliche und wirtschaftliche Konsequenzen.