Im Flüchtlingscamp Idomeni hatten die Menschen wenigstens die Grenze im Blick. Nun leben sie in Baracken mitten in der griechischen Öde. Was aus ihnen wird? Das wissen weder sie, noch die Helfer, noch der Staat.

Athen - Die Aufräumarbeiten in Idomeni sind voll im Gange. Mit Schutzmasken und schwerem Baugerät ausgestattet, befreien Arbeiter das Trümmerfeld des verlassenen Camps und die Bahnschienen von Schutt, Dreck und Zivilisationsresten. Zelte werden mit dem Bagger abgeräumt – die Flüchtlinge haben sie zurückgelassen, die notdürftigen Behausungen standen wochenlang im Schlamm und beherbergen jetzt bestenfalls noch Läuse und Krätze-Milben. Idomeni ist Geschichte. Doch was wird aus seinen Bewohnern?

 

„Meine Kinder haben Angst, ich weiß nicht, was ich machen soll. Jene, die in offizielle Lager umgesiedelt sind, sagen, dass sie es dort nicht mögen. Ich weiß nicht, ob ich umziehen oder doch noch versuchen soll, illegal über die Grenze zu kommen.“ So lauten die Eindrücke der 30 Jahre alte Syrerin Siham, die bei der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen die Räumung des Lagers von Idomeni kommentierte. Siham wusste zum Zeitpunkt des Gesprächs nicht, wohin man sie bringen würde. Nur eines war klar: Ihr Ziel, zu ihrem Mann in Holland zu gelangen, würde noch weiter in die Ferne rücken.

Industriegebäude und alte Kasernen sind die neuen Unterkünfte

Vielen ergeht es seit der Räumung von Idomeni wie Siham. Sie haben die letzte Hoffnung verloren, weiterzukommen. Am schlimmsten sei jedoch, dass sie über das, was nun geschieht, nicht Bescheid wüssten, kritisiert Ärzte ohne Grenzen.

„Die Menschen wurden nicht darüber informiert, wohin sie gefahren werden“, sagt Michele Telaro, Projektkoordinator in Idomeni. „Sie sind vor Konflikten und Gewalt geflohen und haben mehr als zwei Monate unter inakzeptablen Bedingungen in Idomeni verbracht. Die Alternativen zum Unmenschlichen sollten nun nicht Unbekanntes und Unsicherheit sein.“

Das Unbekannte – das sind Industriegebäude und ausgemusterte Militärkasernen, die von der griechischen Regierung im Eilverfahren quer über das Land verteilt zu Flüchtlingslagern umfunktioniert wurden. Der Vorteil liegt auf der Hand: Immerhin sind die Bauten trocken, mit einem Dach über dem Kopf. Dass dennoch Verbesserungsbedarf besteht, gibt auch der griechische Migrationsminister Ioannis Mouzalas zu. Sanitäranlagen seien unzureichend; diese Mängel würden nun schnellstmöglich behoben.

„Unsere Situation ist schlimm“, sagt die 28 Jahre alte Syrerin Nada, Mutter von sieben Kindern, den Helfern von Ärzte ohne Grenzen. Sie ist mit ihren Kindern in einem Lager nahe der nordgriechischen Stadt Kavala untergekommen. „Wir hatten bis zum Schluss gehofft, dass die Grenze sich öffnet - oder dass sie die Bedingungen vor Ort verbessern. Aber hier, hier ist nichts gut. Das Essen schlecht, die Toiletten dreckig - Idomeni war besser.“

Organisation der Asylverfahren ist unklar

Das bestätigt auch das UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR): Viele Menschen seien nach der Räumung von Idomeni in Unterkünfte gebracht worden, die nicht einmal minimalen Standards gerecht würden, teilte die Institution am Freitag in Genf mit. Nada bestätigt diese Einschätzung: „Ich kann meine Kinder nicht einmal waschen. Das Wasser ist sehr weit von unserem Zelt entfernt, und es ist sehr heiß. Wie soll ich es benutzen, wenn es so heiß ist?“

Ganz abgesehen davon, dass noch nicht geklärt ist, ob, wann und wie die Asylverfahren in den neuen Aufnahmelagern organisiert werden sollen, wenn sie bisher nicht einmal in den Registrierzentren der griechischen Inseln klappen – dort, von wo die Menschen im Rahmen des EU-Türkei-Flüchtlingspakts theoretisch zurück in die Türkei geschickt werden könnten, sobald ihr Asylantrag bearbeitet und abgelehnt wurde.

Mehr als 54 000 Flüchtlinge und Migranten harren mittlerweile in Griechenland aus - die allermeisten wollen weiter. Mit der EU wurde ein Umsiedlungsabkommen vereinbart, das nur schleppend in Gang kommt. Der einzige Lichtblick ist, dass die Türkei seit Inkrafttreten des Pakts ihre Küsten kontrolliert und kaum Flüchtlinge nachkommen.

In Idomeni wird derweil weiter aufgeräumt. Und siehe da, jetzt, da alle Bewohner weg sind, öffnet sich die Grenze: Am Bahnübergang, den Flüchtlinge wochenlang besetzt hielten, und über den am Freitag wieder die ersten Güterzüge gen Norden rollen sollen.