Warum will die Kanzlerin keine Minderheitsregierung führen? Was wären die Vorteile und was will eigentlich die Bevölkerung? Eine Übersicht, wie es nach den geplatzten Sondierungsgesprächen weitergehen könnte.

Berlin - Es ist eine verfahrene Lage, in der sich der Berliner Politikbetrieb in diesen Tagen befindet. Wir beantworten die wichtigsten Fragen, die sich nun stellen.

 

Warum will die Kanzlerin keine Minderheitsregierung führen?

Falls es sich FDP-Chef Christian Lindner oder der SPD-Vorsitzende Martin Schulz nach ihren Gesprächen mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier nicht doch anders überlegen, steht die Frage nach einer Minderheitsregierung oder Neuwahlen im Raum. Kanzlerin Angela Merkel hat ihre Antwort darauf schon gegeben: „Der bessere Weg“ wäre für sie in einer solchen Lage eine weitere Wahl. Im Kanzleramt wird das vor allem damit begründet, dass eine Regierung schnell handlungsfähig sein muss: „Sich wechselnde Mehrheiten suchen zu müssen, kann sehr langwierig sein.“ Gerade mit Verweis auf die Europapolitik wird eine Minderheitsregierung daher als „großes Vabanquespiel“ gesehen.

Was wären die Vorteile?

Für eine Minderheitsregierung spricht der Zeitgewinn. Innenpolitisch sind eine Reihe dringender Modernisierungsprojekte identifiziert worden, und in der Europäischen Union erscheint die Gelegenheit gerade günstig für größere Reformen. Die nächste Regierung könnte früher anfangen zu arbeiten und Gesetzentwürfe einzubringen. Grundlage dafür könnten etwa Einzelprojekte sein, auf die sich die „Jamaika“-Partner in ihren gescheiterten Sondierungsgesprächen bereits geeinigt hatten. Die Lust bei vielen Parteifunktionären auf einen neuerlichen Urnengang hält sich zudem in Grenzen, was weniger an den gerade erst geleerten Wahlkampfkassen liegt, sondern mehr an den Inhalten. „Was“, fragt einer in der Unionsfraktion, „sollen wir den Leuten denn Neues erzählen?“

Welche Vorbilder gibt es auf nationaler und internationaler Ebene?

In Europas Demokratien sind Minderheitsregierungen weit verbreitet. Dänemark, die Niederlande, Österreich, Portugal, Schweden, die Slowakei, Spanien und Tschechien haben Erfahrungen mit Regierungen gemacht, die keine Mehrheit im Parlament hatten. In Dänemark besaßen von 32 Regierungen seit dem Zweiten Weltkrieg nur vier eine parlamentarische Mehrheit. Laut Staatsrechtlern funktionieren Minderheitsregierungen dann gut, wenn viele Parteien im Parlament sitzen. In Deutschland gab es auf Länderebene, zum Beispiel in Sachsen-Anhalt und NRW, ebenfalls Erfahrungen mit Minderheitsregierungen – allerdings meist von kurzer Dauer und mit bescheidenem Erfolg.

Wann könnte es Neuwahlen geben?

Aus der langen Nacht der gescheiterten „Jamaika“-Gespräche ist überliefert, dass Merkel dort den 22. April als möglichen Termin genannt haben soll. Das wäre erst in fünf Monaten. Da erneut eine schwierige Regierungsbildung droht, würden die Amtsgeschäfte eventuell erst im Sommer aufgenommen. Rechnet man hinzu, dass der zurückliegende Wahlkampf ebenfalls im Sommer begann, wäre es ein ganzes Jahr lang politisch nicht vorangegangen. „Viel früher“ müsse eine Neuwahl stattfinden, wenn sich FDP oder SPD nicht umstimmen lassen, heißt es daher im Kanzleramt. Dort gehen sie davon aus, dass auch der Bundespräsident Interesse daran hat, die Auflösung des Bundestages - wenn sie nötig wird - möglichst schnell in die Wege zu leiten. Er kann dies jedoch erst tun, nachdem in drei Wahlgängen – mit einer zweiwöchigen Pause zwischen dem ersten und dem zweiten – niemand die notwendige Mehrheit erhalten hat. Das Merkel-Lager hofft, dass dieser Prozess bis Weihnachten abgeschlossen wird und von diesem Zeitpunkt an die gesetzlich festgelegte 60-Tages-Frist greift. Dann fänden Neuwahlen schon Mitte/Ende Februar statt.

Was muss bis dahin alles erledigt sein?

Parteien, die nicht schon länger dem Bundestag oder einem Landtag angehören, müssen ihre Teilnahme spätestens am 97. Tag vor der Wahl anmelden. Der Bundeswahlleiter entscheidet dann über ihre Zulassung, alle teilnehmenden Parteien müssen dann Direktkandidaten und/oder Wahllisten aufstellen, die ebenfalls geprüft werden. Bis 42 Tage vor der Wahl müssen alle Wahlberechtigten in den Wählerverzeichnissen der Städte und Gemeinden eingetragen sein. All diese Fristen und Termine werden im Falle von Neuwahlen über eine Rechtsverordnung des Bundesinnenministeriums verkürzt – bei der vorgezogenen Wahl 2005 etwa um die Hälfte.

Was will die Bevölkerung?

Glaubt man Umfragen, tendieren die Bundesbürger zu Neuwahlen. 51 Prozent von ihnen bevorzugen dies dem ZDF-„Politikbarometer“ zufolge. Eine erneute große Koalition von Union und SPD befürworteten 48 Prozent der Befragten, 46 Prozent haben genug von der „GroKo“. Und nur 30 Prozent der Bürger sähen gern eine Minderheitsregierung. Im ARD-„Deutschlandtrend“ ist die Neuwahl-Option mit 63 Prozent Zustimmung noch etwas beliebter.