Die Deutsche Umwelthilfe hat Klage gegen das Land und die Stadt wegen der hohen Luftschadstoffwerte eingereicht. Die Behörden reagieren gelassen, die Autoindustrie wiegelt ab.

Stuttgart - Irgendwie lag es in der Luft: nachdem Land und Stadt auf den blauen Brief aus Brüssel in Sachen Luftbelastung eher halbherzig reagiert und im Luftreinhalteplan auf bereits beschlossene Maßnahmen gegen Feinstaub- und Stickoxidbelastung verwiesen sowie neue Plaketten und ein Feinstaubalarmsystem für 2017 angekündigt hatten, hat nun mit der Deutschen Umwelthilfe (DUH) erstmals eine Umweltschutzorganisation den Gang vor den Kadi angekündigt. Die Umweltschützer, gelegentlich von Kritikern als Krawallmacher gebrandmarkt, haben seit Jahren darauf aufmerksam gemacht, dass die EU-Grenzwerte für den Schadstoffausstoß vielfach nicht eingehalten würden, und wurden durch den in den USA aufgedeckten VW-Abgasskandal bestätigt.

 

Die Klage der DUH erhöht den Druck auf die politisch Verantwortlichen bei Stadt und Land. In Darmstadt, München und Wiesbaden, wo die Grenzwerte ebenfalls überschritten werden, hat die DUH nach eigenen Angaben bereits erfolgreich geklagt. Da dort die Grenzwerte jedoch trotzdem nicht eingehalten wurden, will der Verein nun eine Vollstreckung der Urteile ebenfalls per Klage erzwingen. Klagen wegen der hohen Schadstoffwerte am Neckartor hatten schon zu Jahresbeginn zwei Anwohner vor dem Stuttgarter Verwaltungsgericht eingereicht – das Verfahren ist aber bisher nicht in Gang gekommen.

Bei den Stickoxiden wirken die Gegenmaßnahmen nicht

Tatsächlich darf sich die Landeshauptstadt auch aufgrund ihrer topografischen Lage nicht nur mit dem zweifelhaften Titel der Stauhauptstadt schmücken, sie gilt gleichzeitig republikweit auch als Stadt mit der höchsten Luftverschmutzung. Daran haben die bisher verfügten Gegenmaßnahmen wenig geändert. Während beim Feinstaub die Zahl der Tage, an denen die Grenzwerte überschritten werden, zwar rückläufig, gleichwohl aber immer noch hoch ist, hat sich in Sachen Stickoxid fast nichts getan. So liegt die Zahl der an der Messstation Neckartor tagesaktuell gemessenen Überschreitungen bei 59 Stunden im Jahr mit einer Belastung von mehr als 200 Nanogramm pro Kubikmeter Luft – erlaubt sind aber nur 18 Stunden.

Stadt und Land reagierten am Donnerstag auf die Klageandrohung mit einer gemeinsamen Pressemitteilung. Darin bekräftigten Verkehrsminister Winfried Hermann und Oberbürgermeister Fritz Kuhn (beide Grüne) das Ziel, die Luftbelastung deutlich zu senken. Sie verwiesen auf das im Juli beschlossene zweistufige Konzept, das in der ersten Phase die Bevölkerung durch Informationen über die Luftbelastung (Feinstaubalarm) und Verhaltenshinweise zu „eigenverantwortlichem Handeln“ ermutigen soll. Die Ergebnisse der ersten Phase sollen im Frühjahr 2017 ausgewertet werden, bevor dann in einem zweiten Schritt weitere Maßnahmen ergriffen werden. Hermann erklärte, es handele sich um ein „ambitioniertes Gesamtkonzept“, das dem Gesundheitsschutz diene und eine Verhängung von Strafzahlungen in sechsstelliger Höhe durch den Europäischen Gerichtshof verhindern solle. OB Kuhn unterstrich, die Stadt habe mit der Einführung des Jobtickets, dem Ausbau der Radwege oder Tempo 40 auf Steigungsstrecken bereits Maßnahmen vorgenommen. Zugleich betonte er: „Alle müssen mitwirken, um die Grenzwerte einzuhalten: Politik, Bürger und Unternehmen.“

Die Kläger dagegen halten just jenes zweistufige Verfahren für unzureichend, weil es in den nächsten zwei Jahren nur auf Freiwilligkeit statt auf verbindliche Maßnahmen setze. Sie werten die im Luftreinhalteplan festgeschriebenen als „soft law“ und bemängeln auch, dass der Ausbau des ÖPNV viel zu langsam vorangehe. Zudem würden durch beschlossene Baumaßnahmen wie den Rosensteintunnel und Stuttgart 21 neuer Verkehr erzeugt. Die DUH fordert unter anderem Fahrverbote, die Einführung einer City-Maut, eine ÖPNV-Abgabe sowie mehr Tempolimits und die Ausstattung von Bussen mit sogenannten SCRT-Filtern. Selbst die neuesten Busse der SSB trügen heute erheblich zur Stickstoffdioxidbelastung bei, heißt es in der Klageschrift.

Verband der Automobilindustrie wiegelt ab

Der für die SSB-Busflotte zuständige Fuhrparkleiter Markus Wiedemann wehrt sich gegen den Vorwurf: „Wir übererfüllen bei unseren Fahrzeugen die jeweiligen gesetzlichen Anforderungen.“ Alle Dieselfahrzeuge seien mit geschlossenen Partikelfiltern, zwei Drittel davon mit zusätzlichen EEV-Filtersystemen zur Stickoxidreduzierung ausgerüstet. Wiedemann empört sich auch darüber, dass die DUH trotz  der vorliegenden Informationen Gesprächsangebote der SSB ignoriere: „Ich empfinde das als schlechten Stil.“

Dagegen begrüßte Manfred Niess, Sprecher des Klima- und Umweltbündnisses Stuttgart (KUS) und einer der genannten Privatkläger, den Vorstoß der Umwelthilfe. Deren Forderungen stimmten in vielen Bereichen „mit den seit langen Jahren aufgestellten Forderungen des Verkehrsclubs Deutschland (VCD) und KUS überein. Wir haben teilweise noch viele weiter gehende konkrete Vorschläge gemacht.“ Niess nannte die Tatsache, dass die Grenzwerte jedes Jahr trotz einschlägiger Gerichtsurteile überschritten worden seien, in Anlehnung an den Soziologen Ulrich Beck eine „legalisierte Normalvergiftung“.

Der Verband der Automobilindustrie wiederum sieht den Kreis der vom Schadstoffausstoß tangierten Einwohner als limitiert an und beruft sich dabei auf die Bundesregierung. In den von der EU-Kommission bemängelten Gebieten seien nur wenige Menschen tatsächlich betroffen, „etwa im Ballungsraum Stuttgart lediglich 90 Personen“, heißt es in einer Erklärung.