Immer mehr Stuttgart-21-Gegner klagen über eine härtere Gangart von Justiz und Polizei. Das rigorose Vorgehen beschäftigt die Rechtsanwälte.  

Stuttgart - Das rigorose Vorgehen von Polizei und Staatsanwaltschaft gegen Stuttgart-21-Gegner beschäftigt immer häufiger auch die Rechtsanwälte der Landeshauptstadt, bei denen sich die Verfahren, die mit dem Widerstand gegen das Bahnprojekt zusammenhängen, langsam häufen. Nach der Berichterstattung in der StZ über eine richterlich angeordnete Wohnungsdurchsuchung in Untertürkheim sind weitere Fälle bekannt geworden, die von den Betroffenen als Einschüchterungsaktionen empfunden worden sind.

 

Der Stuttgarter Maler und Bildhauer Frieder Kühner etwa kann von einem Strafbefehl wegen Beleidigung und vorsätzlicher Körperverletzung berichten, gegen den er erfolgreich Einspruch eingelegt hat. Der Richter habe das Verfahren in allen Punkten eingestellt, sagt seine Anwältin Simone Eberle. Die Staatsanwaltschaft hatte dem 59-Jährigen unter anderem vorgeworfen, er habe bei einer Großdemo am Bahnhof einen Beamten gegen eine Türe gedrückt und dabei am Rippenbogen verletzt.

Nötigung und Körperverletzung

Kühner sagt, er sei ohne Grund von zwei Polizisten an den Armen aus dem Bahnhof geführt worden, dabei sei einer der beiden am Türgriff hängen geblieben. Vor Gericht stellte sich zudem heraus, dass der Beamte eine Schutzweste trug. "Wir haben inzwischen einige aktuelle Fälle, bei denen die Staatsanwaltschaft in der Anklage viel zu hoch gegriffen hat", sagt Eberle, die mit rund 30 Anwälten und Richtern dem Arbeitskreis Juristen zu Stuttgart 21 angehört. Vor allem Nötigung und Körperverletzung stünden häufig zur Anklage.

Selbst Meinungsäußerungen in Form von Leserbriefen an Tageszeitungen können dazu führen, dass deren Autoren ins Visier der Behörden geraten - wie im Fall des in Sachsenheim wohnenden gebürtigen Stuttgarters Ulrich Scheuffele. Unter der Überschrift "Die Presse schweigt" hatte er nach einer Demo am 4. Dezember vor dem Neuen Schloss einen Brief an die "Bietigheimer Zeitung" verfasst. Darin setzte er sich kritisch mit dem Polizeieinsatz auseinander, bei dem Beamte bei der Verfolgung eines jungen Mannes, der diese beleidigt haben soll, eine Frau umgerannt hatten. Sie wurde dabei schwer verletzt und hat inzwischen Anzeige erstattet.

Zeuge durch Leserbrief

Scheuffele wurde als Zeuge aufs örtliche Revier vorgeladen, wo er nach eigenen Worten "ausgequetscht" worden sei. Der Vorfall selbst sei dabei nicht Gegenstand der Befragung gewesen. Vielmehr hätten die Beamten wissen wollen, ob er Näheres über die Rädelsführer einer Befreiungsaktion für den flüchtigen Demonstranten wisse.

Polizeipressesprecher Stefan Keilbach bestätigte die Vorladung gegenüber der StZ. Der Mann sei aufgrund des Leserbriefs als Zeuge einvernommen worden. Er habe in dem Schreiben den Eindruck erweckt, dass er etwas zu dem Vorgang wisse.