Dass im Fall des Terrorverdächtigen Anis Amri nicht alles rund gelaufen ist, bestreitet niemand. Nur in der Frage, wer die Schuld daran trägt, und was künftig besser gemacht werden kann, gehen die Meinungen auseinander.

Berlin/Paris - Mögliche Ermittlungsfehler und schärfere Sicherheitsgesetze werden nach dem Berliner Terroranschlag Politiker und Behörden auch im neuen Jahr beschäftigen. Bundesinnenminister Thomas de Maizière forderte die Länder auf, sich bei der Überwachung sogenannter Gefährder besser abzustimmen. „Was den Umgang mit Gefährdern anbetrifft, so ist dies nach geltendem Recht vor allem durch die Landesgesetzgeber zu regeln“, sagte der CDU-Politiker den Zeitungen der Funke-Mediengruppe (Samstag). „Sicher muss die Abstimmung unter den Ländern etwa bei der Verantwortung für die Observation besser werden.“

 

Der Tunesier Anis Amri hatte den Ermittlungen zufolge am 19. Dezember einen Lkw in die Menschenmenge auf einem Weihnachtsmarkt gesteuert. Zwölf Menschen starben. Er war in Nordrhein-Westfalen und Berlin als Gefährder bekannt - also als jemand, dem ein Anschlag zugetraut wurde. Zeitweise wurde seine Kommunikation überwacht. Diese ergab nach Angaben der Berliner Generalstaatsanwaltschaft keine Hinweise auf terroristische Bestrebungen. Daher wurde die Überwachung im September eingestellt. Etwa zu der Zeit tauchte Amri ab.

De Maizière nimmt Behörden in Schutz

De Maizière sagte eine Prüfung möglicher Pannen zu, nahm aber auch die Sicherheitsbehörden in Schutz. „Ich wehre mich gegen vorschnelle Schuldzuweisungen und Urteile von selbst ernannten Experten, die hinterher immer alles genau wissen“, sagte er.

Laut bisherigem Ermittlungsstand war Amri nach dem Anschlag über die Niederlande und Frankreich nach Italien geflohen, wo die Polizei ihn erschoss. Französische Konservative und die rechtsextreme Partei Front National hatten kritisiert, dass Amri trotz internationaler Fahndung unbehelligt durch ihr Land reisen konnte.

Frankreichs Premierminister Bernard Cazeneuve wies die Kritik zurück. „Jede einreisende Person zu kontrollieren ist völlig unmöglich“, sagte der Sozialist der Sonntagszeitung „Le Journal du Dimanche“.

Steinmeier: Zusammenhalt stärkste Waffe

Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) zeigte sich beeindruckt davon, wie die Mehrheit auf den Terroranschlag reagierte. „Mit Vernunft, Solidarität und Mitgefühl statt Hass, Hetze und Panikmache“, sagte er der „Passauer Neuen Presse“ (Samstag). Für ihn gehe davon ein wichtiges Signal aus: „Wir lassen uns von Terroristen nicht unsere Vorstellung von Leben und Zusammenleben kaputt machen.“ Zwar müssten die Sicherheitsvorkehrungen überprüft und, wo nötig, verbessert werden. „Aber letztlich ist gesellschaftlicher Zusammenhalt die stärkste Waffe gegen Terrorismus.“

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sagte in ihrer Neujahrsansprache, Demokratie, Rechtsstaat und gemeinsame Werte seien „der Gegenentwurf zur hasserfüllten Welt des Terrorismus, und sie werden stärker sein als der Terrorismus“. Dem Hass gelte es, „unsere Mitmenschlichkeit und unseren Zusammenhalt entgegenzusetzen“. Dass auch Flüchtlinge unter den Terroristen etwa in Würzburg, Ansbach und Berlin waren, sei „besonders bitter und widerwärtig“.

Schlechte Kooperation bei Abschiebungen

Amris Asylantrag war abgelehnt worden war. Er konnte aber nicht abgeschoben werden, weil die dafür wichtigen tunesischen Papiere erst nach dem Anschlag bei den deutschen Behörden eintrafen. Deshalb befeuert sein Fall die Debatte über Maßnahmen gegen Staaten, die bei Abschiebungen schlecht kooperieren.

Eine Kürzung von Hilfsprogrammen als politisches Druckmittel lehnt Entwicklungsminister Gerd Müller ab. „Wir schaffen mit unserer Entwicklungszusammenarbeit Bleibeperspektiven und Zukunftschancen für die junge Generation in Tunesien“, sagte er „Welt am Sonntag“. Der Direktor des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik, Dirk Messner, hält Kürzungen aber grundsätzlich für möglich. „Sanktionen müssen dann auch tatsächlich die Regierung treffen“ und nicht die arme Bevölkerung, sagte er der Zeitung. Möglich sei etwa eine Kürzung der Exportförderung.

Ökumenischer Gedenkgottesdienst

Mit einem ökumenischen Gottesdienst haben die Schausteller in Berlin am Silvestertag der Opfer des Terroranschlags am Breitscheidplatz gedacht. Rund 200 Menschen versammelten sich am Samstag in der Gedächtniskirche. Das traditionelle Treffen stand diesmal ganz im Zeichen des Lkw-Anschlags vom 19. Dezember auf dem Weihnachtsmarkt, bei dem 12 Menschen ums Leben kamen und mehr als 50 Menschen verletzt wurden. Ihrer wird seitdem mit einem großen Kerzen- und Blumenmeer an mehreren Stellen des Platzes gedacht. Diese Zeichen der Trauer sollen weiter gepflegt werden. In der Nacht zu Silvester wurden sie darum zu einer zentralen Kerzeninsel zusammengetragen.

In der Kirche sollen weiter Kondolenzbücher ausliegen, erklärte Pfarrer Martin Germer. „So schrecklich es auch ist, das Geschehene hat uns zusammengeschweißt“, sagte Germer, der gemeinsam mit den evangelischen und katholischen Schaustellerseelsorgern Torsten Heinrich und Sascha Ellinghaus den Gottesdienst leitete.

Für die Opfer des Anschlags und ihre Angehörigen wurde ein Spendenkonto eingerichtet. Auch Schaustellern soll mit dem Geld geholfen werden. Klaus-Jürgen Meier, Vorstandsvorsitzender der AG City und Vertreter des Handels, sprach am Samstag von einer großen Resonanz. „Es gibt eine große Bereitschaft zu helfen.“ Bislang seien mehr als 100 000 Euro gespendet worden.