In der Traubenstraße wollen Anwohner einer öden Ecke neues Leben einhauchen. An gepflegtes urban gardening und an Feste ist gedacht. Ein Mini-Museum gibt es schon.

Aus den Stadtteilen: Kathrin Wesely (kay)

S-West - Der Laden in der Schwabstraße 120 steht seit sechs Jahren leer. Die Rollläden sind heruntergelassen, der kleine Platz davor ist mit Motorrädern zugestellt. Ein ödes Eck – obschon die Stadt sich bemüht hat, es baulich schön herzurichten. „Warum muss in Stuttgart eigentlich jeder freie Platz ein Parkplatz sein?“, fragte sich Annick Aicher, die über dem Laden wohnt. Aber das muss ja nicht so bleiben, befand die Kunsthistorikerin und Journalistin.

 

Auf Plakaten und in Postwurfsendungen rief sie die Nachbarn diesen Herbst dazu auf, sich für die Ecke Schwab-/Traubenstraße etwas einfallen zulassen. Zusammen mit ein paar Nachbarn arbeitete Aicher Ideen zur Gestaltung dieses an und für sich lauschigen kleinen Plätzchens aus, die sie mit dem Urban-Gardening-Beauftragten der Stadt besprach und jüngst unter der Überschrift „Vom Parkplatz zum lebendigen Geschichts-Begegnungsort“ im Bezirksbeirat West vorstellte. Im Grunde, so Aicher, gehe es um drei einfache Elemente, mit denen das Plätzle aufgewertet werden könne.

Kein grottiges Grünzeug

Das erste sind zwei Hochbeete, die mit einem Bogen, an dem Wein emporrankt, verbunden werden sollen. „Die Traubenlaube knüpft an die Geschichte des Ortes an“, so Aicher. Denn vor seiner Besiedlung gab es an dieser Stelle Weinberge, Obstgärten und Wiesen. Nachbarn haben sich bereit erklärt, die Pflege zu übernehmen. „Das werden keine Holzkisten mit grottigem Grünzeug drin“, entgegnete Aicher besorgten Nachfragen aus dem Bezirksbeirat. Ein farbige Landkarte soll die Epoche vor der Besiedlung illustrieren. Aicher könnte sich vorstellen, sie in einer der Fensterlaibungen des geschlossenen Eckgeschäfts einzufügen. Das zweite Element sind mehrere elegante Fahrradständer einer Firma in Estland.

Element drei ist „Maries gute Stube“ – Aichers liebevolles Mini-Museum über Geschichte und Geschichten aus dem Quartier. Es besteht bereits. Untergebracht ist die Präsentation in einer Garage, die an das Haus Schwabstraße 120 grenzt und Aicher gehört. Stellwände Tapete, Bilder, Möbeln und Hausrat verleihen dem Raum Wohnlichkeit, verwandeln die Garage zur Stube, in der „die Geschichte des Stuttgarter Westens emotional und spielerisch erfahrbar“ werden.

Herz aus Porzellan

Das Herzstück der Ausstellung ist die parlierende Kaffeekanne. Aichers kleine Legende dazu: „Die Kanne hat Jahrzehnte auf Kaffeetischen gestanden und Geschichten mitgehört, die sie jetzt weitererzählen kann.“ Die Museumschefin hat Interviews mit Quartiersbewohnern aufgezeichnet, ein MP3-Player, der sich im Bauch der Kanne verbirgt, spielt diese auf Wunsch ab. Da ist etwa eine Geschichte von Herrn K. zu hören, der aus Kriegstagen berichtet. Er erinnert sich: „Meine Mutter hat im Krieg Phosphorbomben aus der Wohnung geworfen – mit der Schippe durchs Fenster.“ Frau H. berichtet von den Nachkriegsjahrzehnten: „Wir hatten einen der ersten Fernseher im Haus“, erzählt sie im Interview. „Da war das halbe Haus oft bei uns, um Kulenkampff zu gucken.“ Eine andere Frau aus dem Westen berichtet von ihren Erlebnissen auf ihrem Schulweg in den 1970er Jahren. Bei ihren Interviews ist Aicher aufgefallen, dass die Hausgemeinschaften und Nachbarschaften im Leben der Menschen eine sehr viel größere Bedeutung besaßen als heute.

Annik Aicher und ihre Mitstreiter für ein wohnliches „Traubenplätzle“ können sich auf dem Platz oder in der Garage auch Lesungen, kleine Feste und Flohmärkte vorstellen. Aktuell wird ein Adventssingen anvisiert. Die Bezirksbeiräte begrüßten das Vorhaben der Initiative. Bezirksvorsteher Reinhard Möhrle empfahl ihr, gemeinsam mit Fachleuten von der Stadt in eine detaillierte Planung einzusteigen.