Vor zwei Wochen sind die ersten Flüchtlinge nach Plieningen gezogen. Manche Anwohner haben das eher kritisch beäugt. Zeit für ein paar Gespräche am Gartenzaun. Die Erkenntnis: Das Wohngebiet ist gespalten.

Klima & Nachhaltigkeit: Judith A. Sägesser (ana)

Plieningen - Die beste Sicht aufs Ärgernis haben die Schauers vom Südbalkon aus: das frisch eingeweihte Flüchtlingsheim. Es ist an einigen Stellen genauso gelb wie die Sonnenschirme auf dem Balkon der Schauers. Ansonsten war es das mit Gemeinsamkeiten. Rolf und Edeltraud Schauer sind stinksauer, dass die Stadt ihnen das Asylheim in die direkte Nachbarschaft gesetzt hat. „Wir sind hier ja am meisten geschädigt“, sagt Edeltraud Schauer und meint: weil sie genau vis-à-vis wohnen.

 

Drei Beschwerdemails abgeschickt

Rolf Schauer hat schon drei Beschwerdemails ans Bezirksamt gesandt. Darin geht es zum Beispiel um die Mülltonnen, die anfangs außerhalb des Geländes neben den Glascontainern standen, die Flüchtlinge hätten ihre Tüten immer wieder neben die Tonnen gestellt. Zudem seien Mülltonnen ja keine Augenweide. Es geht aber auch um Lärm. „Gestern abend war die Ruhestörung besonders krass“, schreibt Schauer. „Laute Musik aus der Flüchtlingsunterkunft und kreischende Kinder bis 21.30 Uhr.“ Sein Ton ist ziemlich scharf.

Emotionen kochten hoch

Die Plieninger haben unterschiedlich reagiert, als im Frühjahr beschlossen worden ist, dass im Wolfer eine Unterkunft für 160 Flüchtlinge gebaut werden soll. Bei einem Info-Abend für die Anwohner im Februar kochten die Emotionen hoch. Plieningen schien gespalten: in jene, die den Asylbewerbern die Ankunft so angenehm wie möglich machen wollten, und in jene, die auf ihr Wohngebiet vor allem Strapazen zukommen sahen. Vor knapp zwei Wochen ist ein Teil der Flüchtlinge eingezogen. Zeit für ein paar Gespräche am Gartenzaun.

Ronica Hell nutzt den Mittag, um ihr Auto zu waschen. „Ich bin dem Heim gegenüber positiv eingestellt“, sagt sie mit holländischem Akzent. Sie lebt seit 30 Jahren am Riedgrasweg. „Aber so toll ist es im Moment noch nicht.“ In der Nachbarschaft werde viel über die Neuankömmlinge geredet. Zum Beispiel, weil es schon Feueralarm in der Unterkunft gegeben habe. Und darüber, dass die Flüchtlinge sich in fremden Gärten am Obst und Gemüse bedienen könnten. „Ich glaube nicht, dass die Leute klauen“, sagt Ronica Hell. Sie will erst einmal abwarten und dann urteilen.

Die Bezirksvorsteherin kennt die Gerüchte

Gerüchte kursieren einige im Wohngebiet im Wolfer. Es heißt, die Flüchtlinge hätten Äpfel von den Bäumen gepflückt, oder sie würden damit Fußball spielen. Es heißt, die Kinder würden dauernd greinen, und es heißt, Asylbewerber hätten vor dem Supermarkt am Wollgrasweg gebettelt.

Andrea Lindel kennt diese Gerüchte. Es ist in der Regel die Bezirksvorsteherin, bei der diese Beschwerden eingehen. So gut wie jeden Tag bekomme sie Post, sagt sie. „Es ist gut, dass sich die Leute so schnell melden und es nicht in sich reinfressen“, sagt sie. Sie weiß, dass ihr viele Anwohner das mit dem Flüchtlingsheim persönlich ankreiden. Als die Verwaltungsspitze alle Bezirksvorsteher aufgefordert hatte, nach möglichen Standorten Ausschau zu halten, hat Lindel spontan die Wiese neben dem Hallenbad angeboten. Dass ihr Vorschlag zwei Tage später in einer Vorlage für den Gemeinderat auftauchte, ging selbst für sie etwas schnell. „Das hätte ich mir nicht träumen lassen“, sagt sie. „Aber ich finde, man kann sich nicht einfach wegducken.“

Ein riesiger Zwiespalt

Elfriede Körner schneidet Büsche. Ihr ging das mit dem Heim auch viel zu schnell. „Frau Lindel kann leicht so etwas veranstalten“, sagt sie. „Sie wohnt ja weit weg.“ Den Leuten im Plieninger Wolfer sei das Heim übergestülpt worden, das sei nicht gut für die Demokratie, sagt Körner. „Ich bin traurig über das ganze Ding.“ Und trotzdem spürt sie einen „Riesenzwiespalt“, wie sie sagt. Die Nachrichten liefern ja täglich Gründe, weshalb so viele Menschen flüchten. Sie sei im Krieg selbst evakuiert worden. „Ich weiß, was es heißt, wenn das Heim zerstört wird.“ Das sieht eine vorbeieilende Frau genauso. „Ist doch klar“, sagt sie. „Gerade wenn man die Bilder aus Syrien im Fernsehen sieht, na danke, das verstehe ich schon“, sagt sie und meint, dass die Menschen aus diesen Ländern flüchten. Mehr Zeit hat die Frau nicht.

In den Gesprächen geht es schnell um große Politik

Die Wirtin des Sportheims nimmt sich kurz Zeit. Sie verstaut schnell was im Kofferraum, dann erzählt sie. Die Gäste reden oft übers Asylheim nebenan, sagt Katarina Pasti. Bei den Gesprächen gehe es dann schnell um die große Politik. Es gebe einige Gäste mit mickriger Rente, erzählt die Wirtin. Die verstünden nicht, warum die Stadt Geld dafür ausgibt, dass die Flüchtlinge hier leben können. „Sie sagen dann: Fürs gleiche Geld könnten die in ihren Ländern eine ganze Stadt bauen“, gibt Katarina Pasti weiter, was sie so aufschnappt. Sie weiß, wie schwer es ist, nicht in der Heimat bei der Familie zu sein. Pasti stammt aus der Slowakei, ihre Lieben sieht sie einmal im Jahr. Von den Flüchtlingen haben übrigens schon einmal ein paar Männer im Vereinsheim einen Kaffee getrunken und Wasserpfeife geraucht. „Da hatten wir orientalisches Flair im Biergarten.“

Ein älteres Paar wohnt ganz hinten am Riedgrasweg. Vom Asylheim bekämen sie nichts mit, sagt die Frau. Ihr Mann nickt, er kam vor 50 Jahren aus dem Kongo und hat einen deutschen Pass. Seine Herkunft und die Tatsache, dass er Französisch spricht, haben ihn dazu bewogen, sich dem Plieninger Freundeskreis für Flüchtlinge anzuschließen, wie er sagt. Ihre Namen wollen sie lieber nicht in der Zeitung lesen.

Anonymen Brief verteilt

Diese Auflage gilt auch für eine Frau, die nah am Flüchtlingsheim lebt. Ebenso anonym ist der Brief, den sie bei all ihren Nachbarn eingeworfen hat. Die Frau, die gerade ihren Gartenabfall in den Mülleimer gekippt hat, erinnert in dem Schreiben an die Zeit vor 20 Jahren, als bereits Flüchtlinge in Plieningen am Hallenbad gewohnt hatten. Der Brief ist eine Auflistung von angeblichem Fehlverhalten: Elektromüll sei dauernd an der Straße gestanden, die Plieninger Bauern seien bestohlen worden, und erst die Lautstärke – keine Nacht habe sie in der Zeit durchschlafen können.

Sie überlegen sich, auszuziehen

Die Schauers wissen nicht, wie es vor 20 Jahren mit den Flüchtlingen war. Sie haben die Wohnung im Wolfer erst vor neun Jahren bezogen. Eine Komfortwohnung, wie Edeltraud Schauer betont. Sie leben dort zur Miete. „Gott sei dank“, sagt ihr Mann. Vor zwei Jahren hätten sie sich für den Kauf interessiert. Dass es nicht geklappt hat, verbuchen die beiden jetzt als Fügung. Ein Makler habe den Wertverlust der Immobilien neben dem Flüchtlingswohnheim auf circa 20 Prozent geschätzt. Das Ehepaar spielt mit dem Gedanken, wegzuziehen. „Das ist schon ein Stück Wohnqualitätsverlust“, sagt Edeltraud Schauer. Sie werden den Vermieter vermutlich auf eine Mietminderung ansprechen. Bisher hatten sie von ihrem Südbalkon aus immerhin eine gute Sicht auf eine grüne Wiese.