Im Jugendhaus Cann haben sich 180 Jugendliche mit dem Thema Nachhaltigkeit beschäftigt. Als Referent war der baden-württembergische Umweltminister Franz Untersteller vor Ort. Er nannte die Jugendlichen die „Entscheider von morgen“.

Bad Cannstatt - Man muss gar nicht reingehen ins Cann – und schon gar nicht warten, um zu sehen und zu hören, um was es hier an diesem Tag geht: Der Energie-Truck des Landes signalisiert „Nachdenken, umdenken, Zukunft gestalten“; im Oberschoss diskutiert die kleine Runde der „Energie-Rebellen“. Und vor dem Eingang spricht ein Aktivist darüber, „wie man einigermaßen vernünftig verreisen kann“. Etwa in der Art, wie es das Forum anders Reisen anbietet. Der Drei-Tage-Tripp nach Barcelona? „Ökologisch sehr problematisch. Das ist typisch für konsumistisches Reisen.“ Besser wären „längere Reisen, auf Augenhöhe mit den Menschen und deren Kultur vor Ort. Das ist erlebnisreich und weitet den Horizont“.

 

Hat Nadja Ströbel, Schülerin aus Biberach, jetzt etwa ein schlechtes Gewissen, wenn sie in den Ferien mit dem Auto nach Berlin fährt? „Jein“, sagt die 18-Jährige. „Wir machen eine Fahrgemeinschaft mit fünf Leuten.“ Prinzipiell findet sie es aber gut, „darüber nachzudenken“: „Ich bin erschrocken, als ich hörte, dass man zum Ausgleich für einen Flug nach Spanien 120 Bäume pflanzen müsste. Ich möchte die Freiheit des Reisens genießen und finde es gut, dass hier andere Wege gezeigt werden, die mit Nachhaltigkeit verträglicher sind.“

Ärger über erbärmliche Produktionsbedingungen

Ein T-Shirt für sechs Euro? „Nein, das muss nicht sein“, meint in der „Mode-Box“ nebenan Dorothea Kimmerle ganz entschieden. Sie will nicht warten, bis sich „die erbärmlichen Produktionsbedingungen in Bangladesch oder Vietnam ändern. Ich will jetzt was tun!“ Was das wäre? „Richtig einkaufen, die Sachen länger tragen und Second-Hand nutzen. So mache ich das.“ Klar, dass sie auch am Workshop zu „Fluchtursachen“ teilnimmt.

Mehr als 180 Jugendliche aus ganz Baden-Württemberg haben sich zu Workshops und Diskussionen im Cann eingefunden: zum „Aktionstag zukunftsfähiges Handeln“, von der beim Umweltministerium angesiedelten „Jugendinitiative der Nachhaltigkeitsstrategie Baden-Württemberg“ veranstaltet. Und ganz gleich, mit wem man an diesem Tag spricht, sofort stößt man auf „kritisches Bewusstsein“ – und die Entschlossenheit, im eigenen Alltagshandeln unmittelbar etwas zu ändern, denn „warten bringt nichts“.

Das gilt auch für die Verpflegung vor Ort – sogar beim Fleischkonsum. So kann man mit einem Bio-Metzger selbst eine Wurst herstellen, Schritt für Schritt, mit Warmfleisch aus frischer Schlachtung: Gestern noch ein Schwein, heute ein armes Würstchen. Verdirbt das Wissen nicht den Appetit? „Das ist kein Fleisch aus dem Supermarkt“, sagt Jan Kuttler, ein Schüler aus Leinfelden: „Ich schaue genau hin, wo die Sachen herkommen und esse lieber weniger. Ich finde kritisches Konsumverhalten wichtig, denn ich will möglichst rücksichtsvoll leben“.

Brote vor dem Wegwerfen gerettet

Beispielhaft gelebt wird das in der „Schnippel-Disco“. Zu Mittag wurde ein Salat geschnippelt, jetzt geht es um Brotaufstriche aus Obst und Gemüse: alles aus frischen Lebensmitteln, die im Supermarkt nicht mehr verkaufbar waren. „Außerdem haben wir hundert Brote gerettet und aufgebacken. Das ist heute unsere Verpflegung“, sagt Maike Lambarth aus Stuttgart-Ost, Botschafterin von Food-Sharing. Anderswo kann man an einem Flügel für ein einfaches Windrad hobeln oder sich darüber austauschen, wie man als Jugendlicher auf lokaler Ebene politisch aktiv werden kann.

Und am Nachmittag kommt auch der Polit-Profi, Umweltminister Franz Untersteller, als „Chef der Nachhaltigkeitsstrategie“ vorgestellt. Eindrucksvoll, wie der volle Saal seinem Vortrag lauscht. Aber dort ist man ja unter sich. So klingt es nicht mal mahnend, wenn Untersteller etwa feststellt: „Unser Konsum hat Einfluss auf das Leben rund um den Globus.“ Und ganz selbstverständlich und gar nicht pathetisch, wenn er den jungen Leute fast leise sagt: „Auf Sie kommt es an. Sie sind die Entscheider von morgen.“ Die Würze des Tages wäre nun gewesen, wenn jemand das Motto genommen und gerufen hätte: „Warten bringt nichts!“ Gleichwohl resümierte Barbara Becker aus Unterstellers Ministerium: „Ich finde, hier war viel Nachdenklichkeit und Aufbruchstimmung.“