Der Literaturkritiker und Schriftsteller Hellmuth Karasek ist tot. Er war ein unverkennbarer Intellektueller, der sich nicht vor dem Populären scheute. Seine journalistische Laufbahn begann er bei der Stuttgarter Zeitung. Bei der Neuauflage des „Literarischen Quartetts“ wird es schwierig werden, für ihn Ersatz zu finden. Ein Nachruf.

Kultur: Tim Schleider (schl)

Stuttgart - Kann man als Kulturjournalist richtig populär werden? Ja, man kann! Hellmuth Karasek hat das erlebt und vorgeführt. Sein Wuschelkopf, seine kleine ovale Gelehrtenbrille mit den fröhlich blitzenden Äuglein dahinter und sein leicht singender Tonfall waren den Leuten so bekannt und präsent, dass Karasek auf der Straße, im Zug, im Restaurant angesprochen und um Autogramme gebeten wurde. Und das, weil oder obwohl er Zeit seines Lebens nichts weiter getan hat, als über Bücher, Theaterstücke, Filme oder Alltagsbeobachtungen zu schreiben – eben ein ganz klassischer Feuilletonist zu sein.

 

Diese Popularität hatte vor allem einen Grund: „Das literarische Quartett“. Gemeinsam mit Marcel Reich-Ranicki und Sigrid Löffler bildete Karasek das Kritikertrio in dieser ZDF-Sendung und führte das eigentlich so sperrige Genre der Literaturkritik 1988 bis 2001 zu traumhaften Einschaltquoten. In der schlauen Dramaturgie dieses Formats nahm Karasek die sympathische Mitte zwischen dem leicht mal zu Ausbrüchen neigenden Reich-Ranicki und der stets nüchtern, etwas kühl abwägenden Löffler ein. Auch Karasek argumentierte, wenn er über die Bücher sprach, vorwiegend sachlich abwägend, aber er war auch einem Witz, einer Anekdote oder einem ironischen Seitenschlenker nie abgeneigt. Das mochten die Leute. Und so wurde Karasek sozusagen in seinen besten Mannesjahren zum veritablen Fernsehstar.

Mittendrin im intellektuellen Zentralkomitee des Südwestens

Geboren wurde Karasek 1934 in Brünn in Mähren (heute Tschechische Republik). 1944 floh die Familie vor der anrückenden Roten Armee gen Westen. Sein Abitur machte Karasek in der DDR, 1952 siedelte er den Westen und studierte an der Universität Tübingen Germanistik, Geschichte und Anglistik – mit der Promotion zum Abschluss. Seine journalistische Laufbahn begann er bei der Stuttgarter Zeitung. Unter dem Regiment des Dichterherausgebers Josef Eberle wurde das StZ-Feuilleton so etwas wie das intellektuelle Zentralkomitee im Südwesten mit vielen kecken, ambitionierten jungen Kulturjournalisten, Karasek mittendrin. Seine Liebe zur Kultur ließ ihn aber auch schon mal die Grenzen der Publizistik überwinden; am Stuttgarter Staatstheater übernahm er den Posten des Chefdramaturgen.

Dann Ende der sechziger Jahre der Wechsel in den Norden, nach Hamburg, in die Presse-Hauptstadt der alten Bundesrepublik. Karasek arbeitete für die „Zeit“, wurde 1974 Kulturchef beim „Spiegel“. Dort baute er die Kulturseiten nach und nach zu einem Magazin auf, das am Montag auch jene Kreise des Landes zumindest mal interessiert durchblätterten, die sich sonst für Kultur eigentlich gar nicht interessierten. Sein Schlüsselroman „Das Magazin“ (1998) bot später den geneigten „Spiegel“-Fans manche pikanten Einblicke in den Alltag eines publizistischen Machtzentrums. Damals war das Hamburger Haus noch so unangefochten stark, dass es selbst solche Querschüsse selbstironisch hinnahm.

Keine Scheu vor dem Populären

Schon bis zu diesem Punkt war Hellmuth Karaseks Laufbahn eine Erfolgsgeschichte. Doch hat er selbst immer zugestanden, dass erst das Fernsehen sein Leben auf den Kopf gestellt habe. Wann immer es später auf einem Kanal auch mal ein bisschen seriös oder gebildet zugehen sollte, ob nun öffentlich-rechtlich oder privat, Karasek wurde dafür der Gewährsmann. In den Talkshows plauderte er über die große Welt der Kultur, in der SKL-Millionenshow gab er den Ratefuchs. Scheu vor dem Populären und den neuen Medien war ihm zu diesem Zeitpunkt längst herzlich fremd geworden. Gerade erst vor wenigen Wochen sorgte sein Werbeauftritt für Ikea – er rezensierte den neuen Möbelkatalog scheinbar ganz ernsthaft – für riesige Klickzahlen im Netz.

Hellmuth Karasek war eine Marke und eine Figur, unverkennbar, unverwechselbar.

Wenn nun am Freitag, den 2. Oktober, das ZDF versucht, sein „Literarisches Quartett“ neu zu beleben, wird man unter den Jungen sehr kritisch nach einem Ersatz Ausschau halten. Denn das Vorbild ist tot – Hellmuth Karasek ist am Dienstagabend im Alter von 81 Jahren in Hamburg gestorben.