Der Bestsellerautor und frühere Fernsehmoderator Roger Willemsen ist tot. Ein Nachruf.

Manteldesk: Mirko Weber (miw)

Stuttgart - „Schone fremde Freiheit“, sei das erste Gesetz des guten Tons, schreibt Friedrich Schiller an seinen Freund Körner, als er nach dem objektiven Bestimmungsgrund der Schönheit sucht. „Zeige selbst Freiheit!“, sei das zweite. Und dann findet Schiller für das „Ideal des schönen Umgangs“ das Bild eines „aus vielen verwickelten Touren komponierten englischen“ Tanzes. Kunterbunt gehe alles über Kreuz, man erkenne die Verwicklungen – und doch stoße nichts verstörend zusammen.

 

Für solche Projektionen hatte Roger Willemsen, ein Mann von großer Grundmusikalität, einiges übrig, und so ging er seine ersten medialen Schritte entgegengesetzt zu fast allem, was man so gewohnt war – und sah trotzdem oder deshalb gut aus. Als er zu Beginn der neunziger Jahre bei Premiere die Interview-Sendung „0137“ startete (und später im ZDF „Willemsens Woche“), kannte die Republik die stahlharten und die schmeichelnden Befrager, Bohrer und Süßholzraspler.

Neuer Typus

Willemsen aber begründete rasch und selbstbewusst einen neuen Typus: er ließ seinen Gesprächspartnern (vom Kannibalen bis zu Audrey Hepburn) stets ihre Freiheit und Würde, setzte aber im Dialog mit nie versiegender Neugier, Wortmächtigkeit und Chuzpe oft und vorzugsweise auch seine eigene durch: wer den Weg im Gespräch geistig mitging, wurde reich belohnt. Willemsen war, was Männer im deutschen Fernsehen sehr selten sind: geistvoll und selbstironisch. Und witzig. Natürlich wusste er das.

Er wusste überhaupt eine ganze Menge als über Robert Musil promovierter Germanist, Nachtwächter, Reiseleiter und Übersetzer. Zum Beispiel, dass man im Dasein öfter die Positionen (und am Ende auch die Standpunkte, außer unverrückbaren) wechseln muss, um interessiert zu bleiben. Für Willemsen, 1955 in Bonn geboren, waren das mithin alles keine Gegensätze: Kunst, Leben, Politik (und Boulevard). Was nicht hieß, dass er markuslanzmäßig Eintopf verkaufte. Willemsen machte, ganz im Gegenteil, darauf aufmerksam, dass es Unterschiede gibt: woher sie kommen, worin sie bestehen, welche wirklich existenziell übel und welche lediglich temporär und kunstästhetisch von Belang sind.

Irritierende Begeisterung

Mit einer – manchmal auch manche irritierenden – Begeisterung trat Willemsen im Zweifelsfall für das Schöne ein: für Jazz und klassische Musik, die er klug im Kontrast interpretierte, für bildende Kunst, Reisen ins Ungewisse, nicht pauschal („Die Enden der Welt“), aber auch für wirksame politische Rhetorik. Für sein – im Gegensatz zu den bildüberfluteten Romanen („Unverkäufliche Muster“, „Momentum“) – lakonisches Buch „Das Hohe Haus“ saß der redselige Willemsen einfach ein Jahr lang als Zuhörer im Deutschen Bundestag. Man hätte drauf kommen müssen. Er kam drauf. Pflichtlektüre, allemal!

Darüber hinaus, nicht nebensächlich, war er sozial engagiert in Afghanistan, für Amnesty und für ehemalige Guantanamo-Häftlinge („Hier spricht Guantanamo“, Pflichtlektüre auch das) im Einsatz. Manchmal, nicht erst im Nachhinein, hatte man den Eindruck, wenn noch ein (stilistisch immer erstklassiger) Aufsatz da und noch ein (formal immer brillantes) Interview dort erschienen war, dass dieser gute Mann irgendwie auch immer ein wenig im Bewusstsein produzierte, nicht viel Zeit zu haben. So ist es gekommen. Im Alter von sechzig Jahren ist Roger Willemsen nach schwerer Krebserkrankung gestorben.