Philosoph, Semiotiker, Kolumnist, intellektuelle Instanz: Umberto Eco hat in vielen Rollen geglänzt. Weltruhm erlangte der nun verstorbene 84-Jährige jedoch als Schriftsteller mit dem Roman „Der Name der Rose“. Ein Nachruf.

Mailand - Er war ein Philosoph und verschlang Comics. Leidenschaftlich diskutierte er Fragen der Zeichentheorie, und ebenso passioniert mischte er sich in Debatten über Populärkultur ein. Um diese zu verstehen, so sagte er einmal, müsse man sie lieben. Bissig kommentierte er Fragen der politischen und gesellschaftlichen Entwicklung, mit Witz würzte er jede private Unterhaltung. Er sammelte alte Bücher, und kurz vor seinem Tod gründete er noch einen neuen Verlag. Umberto Eco ist am Freitagabend mit 84 Jahren in seiner Mailänder Wohnung gestorben. Italien und die ganze kulturelle Welt trauern um einen großen Intellektuellen.

 

Vier Städte prägten Ecos Leben. Alessandria im Piemont, wo er am 7. Januar 1932 in einer kleinbürgerlichen Familie geboren wurde und aufwuchs. Das aufstrebende Mailand, wohin er nach dem Studium in Turin zog und seinen Lebensmittelpunkt fand. Die Universitätsstadt Bologna, wo er einen Doktorandenstudiengang für humanistische Studien aufbaute und bis zur Emeritierung 2008 Semiologie lehrte. Und schließlich Paris, die Kulturhauptstadt Europas, als eine Art Refugium.

Sein Philosophiestudium schloss Eco 1954 mit einer Doktorarbeit über die Ästhetik von Thomas von Aquin ab. Im selben Jahr nahm er in Mailand eine Stelle in der Kulturredaktion des TV-Senders RAI an. Die lombardische Metropole zeigte sich in jenen Jahren als das kulturelle Zentrum Italiens, wo Luciano Berio die Gegenwartsmusik prägte, Giorgio Strehler und Dario Fo auf jeweils eigenen Wegen das Theater erneuerten, die Galerienszene boomte und Giangiacomo Feltrinelli einen Verlag gründete, der für viele junge Intellektuelle ein Bezugspunkt wurde.

Der akademischen Welt war der Tausendsassa suspekt

In diesem fiebrigen Klima entwickelte Umberto Eco ein breit gefächertes Interesse, das von der mittelalterlichen Ästhetik über die Massenkultur bis zur Avantgarde reichte. Ihn prägten die Schriften der literarischen Moderne eines James Joyce ebenso wie die fantastischen Erzählungen eines Jorge Luis Borges. Belege findet man in einer Reihe von brillanten Kurzessays („Diario minimo“), die auf Deutsch später unter dem Titel „Platon im Stripteaselokal“ erschienen. 1962 veröffentlichte Eco die wissenschaftliche Abhandlung „Offenes Kunstwerk“ über die Rolle des Lesers. Der Text spielte auch in der Theoriediskussion der avantgardistischen Gruppe 63 eine wichtige Rolle, die von ihm, Nanni Balestrini, Edoardo Sanguineti und anderen gegründet wurde, sich aber nach wenigen Jahren wieder auflöste. Zu der Zeit hatte Eco bereits seine Stellung beim Fernsehen aufgegeben und war als Lektor für Sachbücher in den Mailänder Verlag Bompiani eingetreten. Hier lernte er auch die Frankfurter Designerin und Expertin für Kunstdidaktik Renate Ramge kennen, die er 1962 heiratete. Aus der Ehe sind zwei Kinder hervorgegangen.

Der traditionellen akademischen Welt war dieser kulturelle Tausendsassa suspekt. Nach Lehraufträgen an verschiedenen Universitäten wurde er deshalb erst relativ spät, mit vierzig Jahren, in Bologna auf den Lehrstuhl für Semiotik berufen. 1975 erschien sein „Entwurf einer Theorie der Zeichen“ – ein Standardwerk des Faches.

Das Thema der Erinnerung, das später auch in seinen Romanen eine große Rolle spielen sollte, wurde jetzt zentral. Und damit der Begriff Kultur, die sich mit der Erinnerung identifiziert. Fast gebetsmühlenhaft wiederholte er in Gesprächen: „Wenn man so will, ist die Bibliothek das Sinnbild von Kultur. Oder auch das Museum. Kultur ist Gedächtnis, Aufbewahrung von Begriffen der Vergangenheit, auch von den falschen.“ Dazu, so Eco, gehöre aber auch, dass man trennen muss zwischen wichtigen und unwichtigen Erinnerungen, dass man also vergessen können muss.

Was war von einem Professor zu erwarten?

Auf der Suche nach neuen Herausforderungen, nach ungewöhnlichen Anwendungen seiner Theorien wurde der Wissenschaftler zum Literaten. Aber was konnte man von einem Umberto Eco schon erwarten? Einen Roman mit 600 Seiten über eine mittelalterliche Klosterbibliothek, lateinischen Zitaten und Debatten über die Poetik von Aristoteles. Als das Buch 1980 erschien, kalkulierte der Verlag optimistisch mit einer Auflage von rund 30 000 Exemplaren. Er sollte sich gewaltig verrechnen. „Der Name der Rose“ wurde in fast hundert Sprachen übersetzt und millionenfach verkauft. Es machte seinen Autor weltweit zum Star.

In seinem zweiten Roman „Das Foucaultsche Pendel“ (1988) verfolgte Eco allerlei Verschwörungstheorien über einen Zeitraum von mehreren Jahrhunderten. Der Philosoph war damit endgültig zu einem Schriftsteller geworden, dem es darauf ankam, die Vergangenheit zu besichtigen, um die Gegenwart zu befragen und Gestern wie Heute ironisch zu brechen. So wurden auch die folgenden Titel zu Bestsellern – was nicht hieß, dass jeder Käufer sie auch (zu Ende) las: „Die Insel des vorigen Tages“ (1994), „Baudolino“ (2000), „Die geheimnisvolle Flamme der Königin Loana“ (2004) und „Der Friedhof von Prag“ (2010) – bis zum ungewöhnlich kleinen Roman „Nullnummer“ (2014), der ganz in der Gegenwart angesiedelt ist. Aber gerade in ihm kann man das typische Eco’sche Augenzwinkern wiederfinden, das alle seine Arbeiten auszeichnet. Gewiss, die Sache ist ernst, scheint der Autor zu sagen, aber ich nehme mir das Recht heraus, mich dabei nicht ganz so ernst zu nehmen. Im deutschen Sprachraum erschienen seine Bücher – in der Regel von Burkhart Kroeber glänzend übersetzt – vor allem im Hanser Verlag.

Umberto Eco war in der katholischen Jugendbewegung groß geworden, aber er wurde kein Parteigänger der Kirche. Im Gegenteil, bald legte er eine zunehmende Entfremdung gegenüber der Institution wie gegenüber der Religion an den Tag. Politisch-gesellschaftlich engagierte sich der kritische Professor in jeder Lebensphase, doch ließ er sich dabei von keiner Partei oder politischen Gruppe vereinnahmen.

Intellektuelle Opposition gegen Berlusconi

Für die unabhängige kommunistische Tageszeitung „Il manifesto“ schrieb er anfangs bissige Kommentare unter dem Pseudonym „Dedalus“. Seit 1985 nahm er im römischen Wochenmagazin „L’Espresso“ in der Kolumne „La bustina di minerva“ (auf Deutsch teilweise unter dem Titel „Streichholzbriefe“ veröffentlicht) bis kurz vor seinem Tod politische Vorgänge und Alltagsfragen aufs Korn. Als die Berlusconi-Regierung Anfang der achtziger Jahre begann, Italien unter der Fahne des rechtsliberalen Populismus kulturell umzukrempeln, gründete er mit anderen Intellektuellen wie dem Germanisten Claudio Magris und dem Physiker Giovanni Bachelet die Kulturvereinigung „Libertà e Giustizia“ (Freiheit und Gerechtigkeit). Dabei ging es Eco und seinen Mitstreitern um politisch-kulturelle Bildung der Zivilgesellschaft, nicht um parteipolitische Propaganda.

Im hohen Alter ging Umberto Eco weiterhin vielfältigen Interessen nach, wenn auch etwas geruhsamer. Er sammelte bibliophile Werke, widmete sich einer Geschichte der Schönheit wie einer der Hässlichkeit, machte seine Manie, Register zusammenzustellen, brillant zum Thema eines Essays („Die unendliche Liste“) oder pflegte seine mehrere Zehntausend Titel umfassende Bibliothek, die er in den langen Gängen seiner Mailänder Wohnung und in den Räumen seines Landhauses bei Rimini aufgebaut hatte. Er war durchaus ein Genussmensch, liebte Zigarillos und Whisky und litt dementsprechend, wenn die Ärzte Verbote aussprachen. Auch dass er im Alter zu kurzatmig war, um seine Barockflöten zu spielen, von denen er eine prächtige Sammlung besaß, bekümmerte ihn.

Im vergangenen Jahr wehrte Eco sich mit anderen Autoren gegen eine unmäßige  Verlagskonzentration, nachdem der Marktführer Mondadori die Buchverlage der bisher zweitgrößten Gruppe RCS-Libri geschluckt hatte, darunter auch Ecos „Hausverlag“ Bompiani. Mit seiner finanziellen Unterstützung entstand in Mailand der neue unabhängige Verlag „La Nave di Teseo“ („Das Schiff des Theseus“). Hier wird jetzt posthum Umberto Ecos letztes Buch erscheinen, eine Auswahl seiner „Streichholzbriefe“ der letzten Jahre. Das Verlagsschiff rief ihm jetzt in einem Tweet nach: „Addio Capitano – Kapitän Ade!“

Umberto Eco erzählte einmal: „Wenn ich eines Tages ins Paradies kommen sollte und Gott treffen kann, habe ich zwei Möglichkeiten. Wenn es der rachsüchtige Gott des Alten Testaments ist, drehe ich mich um und gehe zur Hölle. Wenn es dagegen der des Neuen Testaments ist, also dann haben wir dieselben Bücher gelesen und sprechen dieselbe Sprache. Dann werden wir uns verstehen.“