Die Deutsche Bahn fährt von Dezember an keine Nachtzüge mehr. Die Rettung fürs Streckennetz könnte aus Österreich kommen. Die ÖBB schafft eigens 60 weitere Schlafwagen an.

Stuttgart/Wien - Wenn Heiko Focken einen Kurzurlaub in die Sächsische Schweiz plant, dann hat er für die Anreise einen klaren Favoriten: Ins Elbtal fährt der Sindelfinger mit dem Nachtzug „Canopus“. Das ist die Streckenlinie, die von Zürich aus über Karlsruhe und Dresden bis nach Prag geht. „Gepflegt durch die Nacht reisen, zu kommoder Zeit kurz vor acht Uhr morgens im Grenzbahnhof Bad Schandau aussteigen – das ist für mich die entspannte Alternative zu einer siebenstündigen Tagesreise mit der Bahn oder dem auf dieser Strecke wirklich schnelleren Auto“, schwärmt Focken.

 

Ob er diese Reise auch künftig noch mit dem Nachtzug machen kann, steht derzeit allerdings in den Sternen. Die Deutsche Bahn (DB) AG hat im vergangenen Jahr das Programm „Zukunft Bahn“ aus der Taufe gehoben und will ihre Kundschaft ab dem Fahrplanwechsel im Dezember nur noch in Großraumwagen durch die Nacht fahren. Eine DB-Sprecherin betont: „Wir sehen uns in der Nachtzugsparte mit einer stark negativen wirtschaftlichen Prognose auch für die kommenden Jahre konfrontiert.“ Schon 2015 habe die Deutsche Bahn im Nachtzuggeschäft einen Verlust von rund 31 Millionen Euro erwirtschaftet. „Unsere Nachtzüge schreiben tiefrote Zahlen“, klagt DB-Chef Rüdiger Grube. Dazu kommt die massive Konkurrenz durch die Fernbusse.

Weil es an Rentabilität fehlt, nahm die Bahn zuletzt kaum noch Geld in die Hand, um Liege- und Schlafwagen zu modernisieren. Vielmehr wurde beschlossen, „den klassischen Nachtzugverkehr in ein neues Nachtreise-Angebot zu überführen“. Investiert wird dagegen um so mehr in die Anschaffung von mehr als 400 neuen ICE 4 für die Tagesverkehre.

In Stuttgart sind zwei Linien betroffen

Das gefällt vielen Bahnfreunden nicht. Sie wollen nicht sitzend im Nacht-ICE oder in IC-Bussen unterwegs sein, sondern ausgeruht am nächsten Morgen an ihrem Ziel ankommen. Zehntausende haben sich inzwischen im Internet einer Petition angeschlossen, um die Nachtzüge und Autozüge zu erhalten. Derzeit verkehren klassische Nachtzüge auf elf Verbindungen. In Stuttgart halten sie bei den Linien Amsterdam-München/Innsbruck und Hamburg-München/Innsbruck. Gegen die geplante Einstellung der Nachtzüge hat sich auch ein breites gesellschaftliches Bündnis formiert. In der Protestallianz sind die Grünen, die Linken, Gewerkschaften sowie Umwelt- und Verkehrsverbände vertreten. Michael Adler, Chefredakteur der Mitgliederzeitschrift des Verkehrsclubs Deutschland (VCD) fordert: „Ich sehe die europäischen Eisenbahnen in der Verantwortung, klimaschonende Mobilität anzubieten.“

Ein Bahnunternehmen scheint sich dies tatsächlich zu Herzen zu nehmen: Die Rettung der Nachtzüge naht aus Österreich. Die Österreichische Bundesbahn (ÖBB) plant, so Sprecherin Julia Rohracher, „das Nachtreisezugangebot im neuen Fahrplan ab Ende 2016 deutlich zu erweitern“. Für die ÖBB sei „das Nachtzugsegment sehr wichtig“ und werde „von den Kunden sehr gut angenommen“. Der Umsatzanteil am Fernverkehr beträgt bei den Österreichern schon 17 Prozent oder eine Million Fahrgäste im Jahr. Zum Vergleich: Bei der Deutschen Bahn ist es nur ein Prozent. Hier sind 1,3 Millionen Fahrgäste pro Jahr mit dem Nachtzug unterwegs.

Mit der Offensive bei den Nachtzügen hat die ÖBB auch den deutschen Markt im Blick. Schon jetzt sind die Österreicher zweitgrößter Nachtzugbetreiber in Deutschland. Von Wien nach Düsseldorf und Hamburg fahren bereits Züge. Im Mai beschloss der Aufsichtsrat zudem, die Fahrzeugflotte zu modernisieren. Derzeit startet laut Sprecherin Rohracher eine Ausschreibung für den Kauf von 60 gebrauchten Schlaf- und Liegewagen und 15 Autotransportwagen für den Nachtverkehr. Das Investitionsvolumen liegt bei bis zu 31 Millionen Euro. Zudem wurde der Umbau von 20 ÖBB-Intercity-Sitzwagen zu Liegewagen einer neuen Bauart genehmigt. Die DB-Sprecherin bestätigt: „Die Deutsche Bahn unterstützt die Fortführung der klassischen Nachtzugverkehre auf weiteren Verbindungen in und aus Deutschland. Hierzu werden aktuell unter anderem Gespräche mit der ÖBB geführt.“ Im Herbst wollen beide Unternehmen ihr Konzept vorlegen. Mit ihrem Angebot, so betont Rohracher, sei die ÖBB „schon heute der mit Abstand größte Anbieter von internationalen Nachtreisezügen mit Auto- und Motorradtransport in Europa“. Nun geht es um den weiteren Ausbau von Nachtverbindungen von Städten wie Hamburg, Berlin, Düsseldorf und München nach Österreich, Italien und in die Schweiz.

Von Moskau über Berlin nach Paris

Auch ein anderer Betreiber stößt in die Nische. So haben die Russischen Eisenbahnen (RZD) ihre Verbindung von Moskau über Berlin nach Paris auf drei Fahrten pro Woche erhöht. Die RZD setzt dabei auf neue Siemens-Züge und polnische Speisewagen. Nicht ganz einfach ist es indes, für diesen Zug an Karten zu kommen, denn der Ticketverkauf läuft hauptsächlich über russische Agenturen. Auch für die sich abzeichnende Kooperation zwischen ÖBB und DB muss noch geklärt werden, wie künftig der Verkauf von Fahrkarten geregelt werden soll.

Der Bahnexperte Michael Adler jedenfalls sieht vor allem in Geschäftsleuten und Urlaubern potenzielle Kunden für die Nachtzüge: „Nicht nur mit schnellen ICE-Verbindungen über Tag lassen sich den Fluglinien auf innereuropäischen Strecken Marktanteile abjagen. Auch mit hochwertigen, an Kundenbedürfnissen ausgerichteten Nachtzug-Angeboten kann man klimaschädliche Flüge vermeiden.“