Ein singender Cowboy tritt gegen einen millionenschweren Trump-Fan an: Die Nachwahl im US-Staat Montana – bisher fest in republikanischer Hand – wird zum Stimmungstest für den Präsidenten.

Washington - Zuerst erspäht man in der Menschenmenge einen weißen Cowboyhut. Dann einen Schnurrbart in einem freundlich zerknitterten Gesicht. Händeschüttelnd bahnt sich Rob Quist den Weg zum Mikrofon. Das also ist der Mann, der angeblich auf Nacktpartys abstürzt, seine Steuern nicht zahlt, den Rinderfarmern ihre Waffen abnehmen und den Sozialismus nach Montana bringen will. Dabei sieht er aus wie der Vertrauen erweckende Mann aus der Marlboro-Werbung.

 

Es gibt wenig, was die Republikaner in den endlosen Weiten des viertgrößten US-Bundesstaates dem demokratischen Kongresskandidaten nicht nachsagen. „Neuerdings behaupten sie, ich stiege mit Nancy Pelosi ins Bett“, erzählt der 69-Jährige schmunzelnd. Pelosi ist die Fraktionschefin der Demokraten in dem sieben Flugstunden entfernten Bürokratensumpf von Washington – und Hassfigur aller Konservativen. „Also, ich kann mich daran nicht erinnern“, fügt Rob Quist mit einem schiefen Lächeln hinzu. Der Scherz ist nicht politisch korrekt, aber das Publikum lacht und klatscht trotzdem. Im „Taproom“, einer Bierkneipe in Bozeman, der entspannten Kleinstadt am Fuße der schneebedeckten Galatin-Berge, ist man an diesem Abend unter sich: Die Männer tragen Bärte oder Pferdeschwänze, die Frauen lange Baumwollröcke. An den Wänden des Lokals hängen Snowboards und Skier. Hier im alternativ angehauchten Outdoor-Paradies erwartet niemand diplomatisch gedrechselte Vorträge. Und Quist ist kein typischer Politiker – genau deshalb mag man den Außenseiter-Kandidaten, der im Rennen um die Neubesetzung des einzigen Repräsentantenhaus-Mandats des Staates die Republikaner plötzlich das Fürchten lehrt.

Starke Einbußen würden viele Abgeordneten im Kongress nervös machen

Mit 20 Prozentpunkten Vorsprung hatte Donald Trump bei der Präsidentenwahl im November in Montana einen klaren Sieg eingefahren. Doch vor der Nachwahl am 25. Mai ist der Abstand zwischen dem republikanischen und dem demokratischen Bewerber in den Umfragen auf sechs Punkte geschrumpft. Nach den Turbulenzen und Affären der vergangenen Wochen ist die Abstimmung in Montana ein Stimmungstest für die Trump-Regierung. Starke Einbußen würden viele Abgeordnete im Kongress nervös machen, die im nächsten Jahr um ihre Wiederwahl fürchten müssen. Trump müsste um ihre Loyalität bangen.

Und sollte ausgerechnet im ländlichen Montana, das bislang auf den Karten der linksliberalen Wahlstrategen gar nicht vorkam, der Demokrat stark abschneiden, wäre das mehr als ein Fingerzeig für die Spitze seiner orientierungslosen Partei: Graswurzel schlägt Establishment. Durch eine Vielzahl von Kleinspenden verfügt Quist über einen größeren Etat als sein Gegenbewerber Greg Gianforte, der von wirtschaftsnahen Großspendern und der Waffenlobby National Rifle Association (NRA) unterstützt wird.

So sieht das ländliche Amerika aus, das sich von den Demokraten abgewandt hat

Der weiße Cowboyhut, das Halstuch über dem Hemd und die Stiefel sind mehr als Requisite: Quist wuchs auf einer Ranch an der kanadischen Grenze auf. In den Nachwehen des legendären Woodstock-Festivals gründete er 1971 als Student die Mission Mountain Wood Band und verdient seither – inzwischen solo mit Banjo und Gitarre – sein Geld als erfolgreicher Country-, Rock- und Folkmusiker. Bodenständig und naturverbunden – so muss ein Politiker sein, der in Montana Erfolg haben will. Hier am Rande der Rocky Mountains treiben sich Bulle und Bär nicht an der Börse, sondern auf endlosen Weiden und in den Kieferwäldern herum. In den klaren Flüssen angeln Fliegenfischer nach Forellen. Gerade mal eine Million Menschen verlieren sich auf einer Fläche, die größer als Deutschland ist. So sieht das ländliche Amerika aus, das sich bei den Präsidentschaftswahlen in Scharen von den Demokraten abgewandt hat.

Der Kandidat der Republikaner hat seine Software-Firma für 1,5 Milliarden Dollar verkauft

Angeln, Klettern und Skifahren gibt auch der republikanische Kandidat Gianforte als seine liebsten Freizeitbeschäftigungen an. Doch ansonsten könnten die Kontrahenten unterschiedlicher kaum sein. „Wir brauchen nicht noch einen weiteren Millionär im Kongress!“, ruft Quist seinen Zuhörern in Anspielung auf den Reichtum des Software-Unternehmers Gianforte zu, der seine Firma 2011 für 1,5 Milliarden Dollar an den Computerriesen Oracle verkaufte. Umgekehrt stellen die Republikaner Quist, der nach einer schweren Gallenoperation vor ein paar Jahren mit der Steuer in Verzug geriet, als unseriösen Geschäftsmann dar. Sein Vermögen mache ihn unabhängig, behauptet Gianforte: Quist hingegen sei von den verhassten Demokraten in Washington abhängig.

Die Realität sieht anders aus. Angesichts sinkender Umfragewerte hat der Republikaner alles an nationaler Unterstützung mobilisiert, was er bekommen konnte: Selbst Vizepräsident Mike Pence ist mit Innenminister Ryan Zinke, dessen Parlamentssitz in der Wahl nachzubesetzen ist, zu einer Kundgebung eingeflogen. Vorher hat er sich in einem Indianerreservat auf ein Pferd geschwungen. Das gab einen Aufmacher und ein schönes Titelbild in der „Billings Gazette“. Und auch Donald Trump jr., der Sohn des Präsidenten, mischt in Montana ein paar Hundert Meilen westlich kräftig mit.

Die Männer tragen Cowboyhüte und Basecaps, die Frauen haben sich herausgesputzt

Das kleine Butte hat schon bessere Zeiten gesehen. Vor 35 Jahren wurde die letzte Mine im einstigen Zentrum des Kupferbergbaus geschlossen. Geblieben sind rostige Fördertürme, eine Grube mit giftigem Wasser und abgeschürfte Berge, die den Besucher wie offene Wunden in der Landschaft empfangen. Tourismus gibt es kaum, die Farmer im Umland leben von der Rinderzucht. Etwas außerhalb, auf dem Gelände eines Autoteilehändlers, warten rund 200 Menschen. Die Männer tragen Cowboyhüte und Basecaps, die Frauen haben sich herausgeputzt. „Rückt näher zusammen hier vor den Kameras, damit wir nicht wie eine kleine Gruppe aussehen“, fordert ein Organisator die Zuhörer auf. Immerhin kommt Donald Trump jr. zur Kundgebung der Republikaner. Draußen an der Straße haben sich 100 Demonstranten aufgereiht. „You are the swamp“ (Ihr seid der Sumpf), „Fight Trump! Fight for Democracy!“ (Kämpft gegen Trump, für die Demokratie) oder „Save our Public Land“ (Rettet unsere Natur) steht auf ihren Schildern.

Als Gianforte in einem Konvoi anrollt, hat er neben Trump jr. noch Chris Cox, den Geschäftsführer der Waffenlobby NRA, zur Unterstützung mitgebracht. Die NRA hat beide Kandidaten bewertet: Gianforte erhielt ein „A“-Rating, Quist ein „F“, weil er seit drei Jahren seinen Jagdschein nicht verlängert hat. „Neulich rief mich so ein Ostküstenreporter an“, setzt Gianforte gleich süffisant an. „Er fragte: Wie viele G….G…G…ewehre haben Sie? Er konnte das Wort nicht aussprechen!“ Das Publikum ist bester Laune. „Ich sagte: Ein paar Dutzend. Aber die richtige Antwort ist: Noch eins mehr“, schießt Gianforte seine Pointe ab. Die Zuhörer johlen und buhen, als der Redner behauptet, sein Gegenkandidat wolle ihnen die Waffen wegnehmen. Ein bisschen wettern gegen illegale Einwanderer (obwohl es in Montana kaum Latinos gibt), kräftige Streicheleinheiten für das Militär und das Versprechen, Donald Trump werde die Steuern senken – so einfach ist die Rede gestrickt.

Dann kommt der Höhepunkt: Der Sohn des Präsidenten erweist dem 30 000-Seelen-Kaff die Ehre. Anzug und Krawatte habe er zu Hause gelassen, er wolle noch Jagen und Fischen gehen, sagt Trump junior. Das kommt gut an. Er preist den Kandidaten als Unternehmer mit gesundem Menschenverstand – ganz im Gegensatz zu anderen Kräften. „Die Presse ist verrückt geworden“, wettert der Sohn ganz wie der Vater und erst die Linksliberalen in Los Angeles und New York: „Die Demokraten pumpen hier jede Menge Geld rein“, warnt er. Es gehe darum, die Arbeit seines Vaters zu sabotieren: „Er macht das alles, weil er das Land liebt. Denen geht es nur um die Macht.“ Der Beifall ist ordentlich, nicht euphorisch.

„Die Presse ist verrückt geworden“, wettert Donald Trump jr. ganz wie der Vate5r

Liebe zum Land gegen Machthunger? Das ist eine bemerkenswerte Beschreibung eines Duells, bei dem ein steinreicher Unternehmer gegen einen linken Musiker antritt, der gegen Privatisierungen und für höhere Mindestlöhne kämpft. Auch manches andere ist schräg an der Negativkampagne der Republikaner gegen Quist. So hat sich der Kandidat nie für ein Waffenverbot, sondern nur für die Registrierung automatischer Gewehre ausgesprochen. Ein U-Boot der Demokraten in Washington ist er auch nicht. Sein Verhältnis zur Bundespartei? „Ich habe keins. Wir machen hier unser eigenes Ding.“ Die Hilfe seiner nationalen Partei hat Quist abgelehnt. Er holt nur Bernie Sanders, den linken Senator von Vermont und einstigen Gegenspieler von Hillary Clinton: „Er ist ein Mann des Volkes und steht gegen die Konzerne, die Washington schon zu lange kontrollieren.“

Die psychologische Wirkung auf die Republikaner wäre groß

Zurück zum „Taproom“ in Bozeman: Quists Rede ist kurz: Er spricht über den Schutz der öffentlichen Wälder, Berge und Flüsse vor dem Zugriff privater Investoren, die den Zugang beschränken und die rohstoffreichen Böden ausbeuten wollten. „Mein Gegenkandidat will das Land privatisieren“, warnt Quist: „Das ist ein Kampf um die Seele Montanas!“ Da gibt es großen Beifall. Am Ende spielt Quist noch seinen Wahlkampfsong „Stand with me, Montana, and I will stand up for you!“ – ein pathetischer Aufruf zur Solidarität.

Sollte der Graswurzelpolitiker Quist erstmals seit 1996 den riesigen Wahlkreis holen oder zumindest – wie schon seine Kollegen in Kansas und Georgia – deutlich besser abschneiden als erwartet, würde das Beben auch in Washington zu spüren sein. Zwar änderte sich an den Mehrheitsverhältnissen im Abgeordnetenhaus vorerst nichts, aber die psychologische Wirkung auf die Republikaner wäre groß: Trump hilft nicht. Er schadet. Unermüdlich kurvt Quist im Wohnwagen durch das Land und sucht das persönliche Gespräch. „Das Pendel ist weit nach rechts ausgeschlagen. Ich möchte Teil der Bewegung sein, die es zurückholt“, sagt er. Derweil warnt sein Gegner Gianforte: „Die Demokraten wollen uns den Sitz wegnehmen, um den Trump-Zug zu stoppen und die Steuerreform zu verhindern.“ So endlos der sprichwörtliche „Große Himmel“ über Montana ist – am Boden ist der Bergstaat tief gespalten.