Im neuen Nähcafé bei der Arbeiterwohlfahrt im Alten Waschhaus in Bad Cannstatt können Interessierte sich beim Nähen helfen lassen – und ein wenig Gesellschaft genießen.

Bad Cannstatt - Hoch geht die Nadel, runter fährt sie in den Stoff. Die Maschine surrt leise vor sich hin. Aufmerksam schaut Waltraud Kuntz zu. Was da in der Nähmaschine eingespannt daliegt, ist die Designerjeans der 69-jährigen Rentnerin. Etwas Stoff hat sich gelöst – und den soll Bianca Jahnke nun kunstvoll wieder richten.

 

Vier Frauen sind zum ersten Nähcafé bei der Awo im Bad Cannstatter Alten Waschhaus gekommen. Gemeinsam wollen sie nähen, stricken, häkeln – und sich ein wenig helfen lassen. Diesen Part übernimmt Bianca Jahnke. Die ausgebildete Schneidermeisterin mit eigenem Atelier in der Stadt studiert seit drei Jahren Soziale Arbeit. Das neue Nähcafé gehört zu ihrem studienbegleitenden Praktikum, das sie nun bei der Awo absolviert. Die Idee dazu hat Jahnke einfach mitgebracht. Denn bis zum Sommer hat sie ihr Nähcafé ein paar Häuser weiter im Stadtteilbüro ehrenamtlich angeboten – im Rahmen des Programms „Soziale Stadt“.

Man kann sich unterhalten und lernt dazu

So kennen sich auch die Frauen, die sich an diesem Donnerstag zum Nähen treffen. Neu ist für sie vor allem der Ort ihres Nähcafés im Alten Waschhaus. „Ich komme schon seit Beginn, also bestimmt seit eineinhalb Jahren zum Nähcafé“, berichtet Waltraud Kuntz und ist begeistert von dem Angebot: „Hier trifft man nette Leute, kann sich unterhalten und lernt etwas dazu“, sagt die Rentnerin. Schon länger könne sie nicht mehr arbeiten. Mit Nähen verbringt Kuntz deshalb gerne ihre Tage: „Das ist etwas Positives, um die Zeit rumzukriegen.“

An diesem Nachmittag hat sie neben ihrer Jeans auch zwei Kleider mitgebracht, die sie enger machen möchte. Doch wie soll das gehen? Zu Hause muckt die eigene Nähmaschine und macht nicht immer das, was sie soll. „Meist ist das Nähen selbst nicht das Problem, sondern das Einstellen der Maschine“, sagt Bianca Jahnke und betrachtet nach ein paar Nadelstichen zufrieden die Jeans von Waltraud Kuntz. „Jetzt noch die Stecknadeln entfernen und dann dürfen Sie ran“, meint sie zur Nähcafébesucherin. Doch diese will heute nur zuschauen.

Direkt am Fenster sitzt Thuria Tahbub. Die 62-Jährige hat ein blaues Tischtuch dabei und stickt ein regelmäßiges Muster in den Stoff. „Ich bin auch seit Anfang an dabei“, sagt die Frau mit Wurzeln in Palästina. Alleine näht sie selten, auch wenn Handarbeit mit Sticken und Stricken ist Hobby ist. Zum Nähcafé kommt sie sehr gerne: „Jedes Mal bekommen wir nützliche Tipps von Bianca Jahnke“, sagt Tahbub glücklich: „Wir verstehen uns sehr gut und haben Spaß mit der Meisterin.“ Sie lächelt und sucht das Licht, um ihre Handarbeit besser sehen zu können.

Ein Sommerkleid für die Tochter

Ein paar Tische weiter stecken Hawa Ali und Mariame Diallo ihre Köpfe zusammen. Hawa Ali hat an diesem Tag einen wunderschönen Stoff dabei, den ihr Mann aus Somalia mitgebracht hat. „Ich möchte daraus ein Sommerkleid für meine kleine Tochter machen“, sagt Hawa Ali und spannt das Stück in ihre Nähmaschine ein, während ihre Freundin Mariame Diallo zuschaut. Die 43-Jährige ist zum zweiten Mal dabei. „Ich möchte nähen und stricken lernen“, sagt die Frau von der Elfenbeinküste. Gerne würde sie Taschen und Kleider nähen. Aber noch nimmt sie keine Nadel in die Hand.

Auch Dagmar Birbalta schaut nur zu, während die anderen Frauen nähen und sticken. Sie ist die Einrichtungsleiterin des Alten Waschhauses und froh über das neue Angebot. „Bei uns geht es um Geselligkeit und Unterhaltung“, sagt Birbalta. Neben dem Nähcafé wird ihre Praktikantin Bianca Jahnke auch das Café Memory, das immer montags von 13.30 bis 16 Uhr stattfindet, leiten.

Derweil hat sich Bianca Jahnke eine Bluse vorgenommen, die Waltraud Kuntz mitgebracht hat. Mit geübtem Blick erfasst sie die Lage und erklärt, was Kuntz bei diesem Stück zu beachten hat. Sie lächelt: „Es ist schön, dass ich hier meinen alten und meinen neuen Beruf kombinieren kann.“ Und Waltraud Kuntz ist mehr als froh darüber: „Solange ich hierher kommen kann, ist die Welt für mich in Ordnung.“

Info
Das Nähcafé mit Schneidermeisterin Bianca Jahnke ist jeden letzten Donnerstag im Monat im Alten Waschhaus, Düsseldorfer Straße 59. Beginn ist um 14 Uhr. Der nächste Termin ist am Donnerstag, 27. Oktober. Das Alte Waschhaus ist ein Begegnungs- und Servicezentrum der Awo und ein Treffpunkt für ältere Menschen. Weitere Infos gibt es hier.