Eine Bilanz der S-Bahn-Strecken in der Region zeigt: die Baukosten liegen meist höher als geplant – aber die Zahl der Fahrgäste ist es auch.

Klima/Nachhaltigkeit : Thomas Faltin (fal)

Stuttgart - Über neue S-Bahn-Strecken wird in der Region Stuttgart oft jahrzehntelang diskutiert, und viele Kosten-Nutzen-Rechnungen werden angestellt - doch ob sich eine neue Linie nach dem Bau wirklich rentiert, das erfährt die Öffentlichkeit oft nicht mehr. Die Stuttgarter Zeitung hat deshalb den Verband Region Stuttgart gebeten, die Zahlen für die drei letzten großen S-Bahn-Projekte zusammenzustellen.

 

Konkret handelt es sich um die Verlängerung der S-Bahn von Rohr zum Flughafen 1993, um die Weiterführung dieser Linie bis nach Bernhausen 2001 sowie um die Verlängerung der S1 von Plochingen nach Kirchheim/Teck 2009 - mehr ist im S-Bahn-Netz seit 1993 nicht gebaut worden. Die jüngste Linie von Böblingen nach Maichingen, die seit vergangenem Jahr in Betrieb ist, blieb unberücksichtigt, weil noch kaum Zahlen vorliegen.

Das Fazit lautet: alle Projekte sind deutlich teurer geworden als errechnet, aber die Menschen haben diese Strecken deutlich besser angenommen als geplant.

Die Baukosten

Die Bilanz zeigt, dass die Teuerung bei diesen drei S-Bahn-Linien schmerzlich hoch ausfällt. Bei der S2 nach Bernhausen zahlte die öffentliche Hand zuletzt 14 Millionen Euro mehr als kalkuliert, was einem Plus von fast 20 Prozent entspricht. Die Verlängerung zum Flughafen vor 18 Jahren wurde sogar 25 Prozent teurer. Für die S-Bahn nach Kirchheim existieren noch keine Schlussrechnungen, doch Jürgen Wurmthaler vom Verband Region Stuttgart (VRS) weiß schon heute, dass es auch dort "keine Punktlandung" geben wird.

Er sieht vor allem die Inflation als Kostentreiber, denn zwischen Kalkulation und Bau seien bei diesen S-Bahn-Projekten zehn bis 15 Jahre vergangen. Daneben stellten die Baufirmen regelmäßig Nachforderungen. Im Vergleich zur Kostenexplosion bei der S60 zwischen Böblingen und Renningen erscheinen diese Zahlen sogar moderat, denn bei dieser Tangentiallinie war man von 93 Millionen Euro ausgegangen - jetzt liegt man bei 150 Millionen Euro, obwohl die Strecke erst zu einem Drittel fertig ist. "Es ist zwingend notwendig, dass wir vorab die Kosten deutlich besser kalkulieren", sagt die Regionaldirektorin Jeannette Wopperer selbstkritisch.

Die Zahl der Fahrgäste

Überaus erfreulich sieht es dagegen mit der Kundschaft aus: Regelmäßig sind die Erwartungen der Planer klar übertroffen worden. Alle drei geprüften S-Bahn-Linien besitzen heute eine hohe Beliebtheit. Zwischen 25 Prozent (Kirchheim) und 72 Prozent (Flughafen) liegen die realen Zahlen über den Schätzungen vor dem Bau der Strecke (siehe Tabelle). Bei Kirchheim ist sogar ein direkter Vergleich möglich, weil schon vor der S-Bahn ein Zug auf dieser Strecke verkehrte. Jeden Tag benutzten 3200 Menschen diesen Zug - in die S-Bahn steigen täglich 4750 Fahrgäste.

Es wäre jedoch eine Milchmädchenrechnung zu glauben, mit den zusätzlichen Einnahmen könnten die höheren Baukosten quasi beglichen werden. Denn der Betreiber einer neuen Strecke - meist die Deutsche Bahn - erhält bis zu 90 Prozent des Ticketpreises. Doch ist unterm Strich mehr Geld im Nahverkehrssystem, so dass die Fahrpreise nicht so stark steigen.

Was für Jürgen Wurmthaler viel wichtiger ist: mit den neuen S-Bahn-Linien gelingt es, den Moloch Auto zumindest etwas in Schach zu halten. Wurmthaler bezeichnet es als einen "Knaller", dass der Anteil des Nahverkehrs in der Region am gesamten Mobilitätsaufkommen zwischen 1995 und 2009 von 12,2 auf 14,5 Prozent gestiegen ist, während das Auto fast vier Prozent auf 56,6 Prozent verlor. "Es ist unglaublich schwierig, dem Individualverkehr Anteile abzutrotzen", sagt Wurmthaler: "Wir in der Region Stuttgart haben es geschafft."

Das Betriebsdefizit

Eisenbahnen sind immer ein Zuschussbetrieb - da muss man sich nichts vormachen. Mit den neuen S-Bahn-Linien in der Region sieht es nicht anders aus. Rund elf Millionen Euro beträgt das jährliche Betriebsdefizit für die drei geprüften Linien sowie für die geplanten S40 und S60. Zumindest ist die Tendenz auch in diesem Bereich erfreulich. Dem Verband Region Stuttgart ist es gelungen, mit der Bahn bessere Verträge auszuhandeln - der Preis pro gefahrenem Kilometer ist 2008 gesunken (von 8,12 auf 6,43 Euro) und wird es 2013 erneut tun (auf 6,14 Euro). Insofern sinkt das Betriebsdefizit auf nur noch 7,7 Millionen Euro für diese fünf Strecken.

Rentabel im streng betriebswirtschaftlichen Sinne sind dennoch alle diese neuen Linien nicht, ein Zuschuss bleibt ja weiterhin. Allerdings macht Jeannette Wopperer noch eine andere Rechnung auf: Man müsse sich nur einmal vorstellen, wie der Verkehr in der Region aussehen würde, wenn man das S-Bahn-Netz nicht hätte: "Der Verkehr würde jeden Tag zusammenbrechen", sagt Wopperer. Sie hält deshalb wenig davon, die Kosten-Nutzen-Rechnungen, die vor dem Bau einer Strecke zwingend sind, nach dem Bau mit den tatsächlichen Zahlen zu prüfen. "Der Nutzen ist so hoch, da braucht man gar nicht lange rechnen", so Wopperer.

In dieser volkswirtschaftlichen Rechnung werden auch andere Aspekte berücksichtigt: Zum Beispiel verringert sich durch neue Schienenstrecken die Zahl der Verkehrstoten, auch die CO2-Emissionen sinken. Die Bundesregierung ist jedenfalls der Ansicht, dass sich neue Linien zwar nicht in betriebs-, auf jeden Fall aber in volkswirtschaftlicher Hinsicht rentieren. Vor Kurzem hat sie in einer Bundestagsdrucksache (17/5459 vom 12. April 2011) festgestellt, dass "der gesamtwirtschaftliche Nutzen des öffentlichen Nahverkehrs den konsumtiven Finanzbedarf um das Dreifache" übersteige.