Die Stadtväter in Tallinn haben sich etwas Besonderes einfallen lassen: Einheimische fahren in Estlands Hauptstadt gratis mit Bus und Bahn.

Tallinn/Estland - Die Stadtväter von Tallinn, die sich sonst in schwarzen Limousinen chauffieren lassen, bestiegen zur Feier des Tages die Busse und Trams der estnischen Hauptstadt, und ihnen gefiel, was sie sahen: das neue System, das die Nutzung des öffentlichen Verkehrs seit Jahresbeginn für Einheimische gratis macht, hat seine Feuertaufe bestanden. „Alles klappt, die Fahrpläne werden eingehalten, und über die Qualität des Service ist nichts Negatives zu sagen“, freut sich Bürgermeister Edgar Savissar, der die freie Fahrt gegen Widerstände durchgeboxt hat. Dass der Andrang geringer war als sonst, weil die Schulen erst nach diesem Wochenende wieder starten, erleichterte den Umstieg.

 

So ist Tallinn nun die einzige Hauptstadt der EU, die ihren Bürgern gratis Transport gewährt. Die Kosten für den öffentlichen Nahverkehr nehmen dafür um 40 Prozent oder 20 Millionen Euro zu, die durch Budgetumschichtungen eingetrieben werden müssen. Savissar hatte seine Idee im März einer Bürgerbefragung vorgelegt, die mit einer Zustimmungsrate von 75 Prozent endete, und auch wenn die Wahlbeteiligung nur bei 20 Prozent lag, sah der Bürgermeister das klare Ja als Freibrief für die Umsetzung des Planes. Er will den Autoverkehr, der die Stadt zu ersticken droht, ausdünnen, sozial schwachen Einwohnern das Leben leichter machen und zugleich die eigene Popularität mehren – was die Regierung murren ließ, dass Savissar den Haushalt für Propagandazwecke missbrauche.

Die Kontrolleure schieben weiter ihren Dienst

Die ersten Rückmeldungen sind positiv. 190 000 der 400 000 Einwohner haben ihre Smartcards für den Gratisverkehr registrieren lassen. Das ist nötig, denn das System hat seine Tücken. Da der freie Verkehr nur für Bewohner von Tallinn gilt, muss jeder Zusteigende seine Chipkarte ablesen und sich grünes Licht geben lassen. Wer nicht in Tallinn wohnt, kann die Smartcard auch für 1,10 Euro pro Fahrt verwenden. Gratis fahren auch Schüler, Studenten und Rentner aus ganz Estland, Behinderte und Erwachsene in Begleitung eines Kindes unter drei Jahren. Touristen sind die Einzigen, die für 1,60 Euro noch ein Papierticket für eine Einzelfahrt lösen können. Aber Achtung: entwerten nicht vergessen, sonst kommen die Kontrolleure, die trotz Freiverkehr weiter Dienst schieben.