Neue S-Bahn-Züge sollen ab Herbst 2012 an in der Region fahren. Die technische Ausstattung verspricht höheren Komfort für die Fahrgäste.

Stuttgart - "Schienenfahrzeuge haben Vorrang“, heißt es unübersehbar an der Werkseinfahrt von Bombardier Transportation an der Jülicher Straße in Aachen. Hinter dem Schlagbaum beginnt ein großes Stück Eisenbahngeschichte: Vor drei Jahren hat die älteste deutsche Waggonfabrik ihren 170. Geburtstag gefeiert.

 

Drinnen, in den riesigen Fabrikationshallen, dominiert die Zukunft. Die auf stählernen Stelzen stehenden roten Wagenkästen sehen aus wie riesige Insekten. Um die Rohbauten streben schlanke Metallgerüste in die Höhe, damit auf drei Ebenen gleichzeitig an den vier Wagen eines neuen S-Bahn-Zuges vom Typ ET 430 für die Region Stuttgart gearbeitet werden kann.

An der ersten Station werden Fenster eingepasst und Türhalter montiert. Am Unterboden schrauben die Facharbeiter Druckbehälter für die Bremsen an und ziehen Heizungsrohre ein, während ein Kollege auf dem Dach bereits die Porzellanisolatoren für die Oberleitung befestigt. Im nächsten Bauabschnitt dominieren am Unterboden und im Innenraum viele Kabelstränge das Bild. „In jedem S-Bahn-Zug müssen 80.000 Meter Kabel verlegt und richtig angeschlossen werden“, erklärt Dirk Reuters, der Leiter des Aachener Werks mit 451 Mitarbeitern.

Jeder Zug enthalte rund 8000 mechanische und elektronische Baugruppen. „Alles in allem müssen wir 160. 000 Einzelteile zusammenbauen“, sagt Reuters. Jeder Anschluss wird geprüft, bevor ein Monteur ein Kabel endgültig anschließt. Diese Sorgfalt zahlt sich aus: „Denn wenn bei einem fertigen Zug beim Abschlusstest ein Kurzschluss auftritt, dann muss man bei so vielen Kabeln lange suchen, bis der Fehler gefunden ist“, erklärt Reuters.

Alle 83 neue S-Bahn-Züge sollen bis 2013 einsatzbereit sein

Nach dem Zusammenbau der vier Wagenkästen mit den fünf Drehgestellen steht ein Kraftpaket auf der Schiene. Die Elektromotoren des ET 430 leisten 3195 PS, die Höchstgeschwindigkeit beträgt 140 Kilometer pro Stunde. Acht Tage brauchen die Bombardier-Teams, um aus zwei Trieb- und zwei Mittelwagen einen fast 70 Meter langen und rund 5,5 Millionen Euro teuren Elektrotriebwagen 430 zu bauen, der vom Herbst 2012 an Fahrgäste auf den Linien S 1, S 2 und S 3 befördern soll.

Bis Juli 2013, wenn der neue S-Bahn-Vertrag des Verbands Region Stuttgart (VRS) mit der Bahn in Kraft tritt, sollen alle von der Bahn bestellten 83 neuen S-Bahn-Züge einsatzbereit sein. Später können es auch noch mehr werden, denn der bis 2028 laufende Kontrakt enthält eine Option für bis zu 83 weitere Züge.

Besomdere technische Schmankerl

Die Aachener S-Bahn-Bauer geben sich selbstbewusst: „Sie erhalten ein gutes, sicheres und modernes Fahrzeug“, sagt Ralf Oelsner, der Projektleiter für den ET 430, den Besuchern aus Stuttgart. Jede neue S-Bahn könne die beim Bremsen entstehende Energie in das Netz zurückspeisen. Außerdem werde die Abwärme der Transformatoren für die Fahrzeugheizung genutzt. „Alle Wagen eines Zuges haben 184 bequeme Sitzplätze und sind durchgängig begehbar“, erläutert Oelsner.

Das helle Ambiente des Innenraums mit einem LED-Leuchtband an der Decke sowie die Videoüberwachung mit mehreren Kameras böten Sicherheit. Auch für aktuelle Informationen der Reisenden ist gesorgt. Die Monitore des Reiseinformationssystems melden Ankünfte in Echtzeit und zeigen auch alle Umsteigemöglichkeiten beim nächsten Halt an.

Auch die Lokführer dürften sich über den ET 430 freuen: Die neue Fahrerkabine hält dank mehrerer Crashelemente, die bei einem Aufprall Energie absorbieren, auch bei höheren Geschwindigkeiten einen Zusammenstoß mit einem schweren Hindernis aus. Das besondere technische Schmankerl der neuen S-Bahn ist allerdings der bewegliche Schiebetritt an allen Türen. Wenn sich diese in einer Station öffnen, fährt die Leiste automatisch aus und überbrückt die Lücke zwischen Zug und Bahnsteigkante. „Unsere S-Bahn baut dem Fahrgast eine Brücke“, heißt es bei Bombardier.

Die ersten sechs ET-430-Züge werden bereits in Berlin auf einer Teststrecke der Bahn auf Herz und Nieren geprüft. Im Januar startet das Prüfverfahren beim Eisenbahnbundesamt, dessen Zulassung im Juni 2012 vorliegen soll. Zwei Monate später sollen die ersten S-Bahnen im Betriebswerk in Plochingen eintreffen. Dort werden dann Lokführer und Wartungspersonal geschult. „Die ersten ET 430 werden voraussichtlich im Herbst 2012 auf die Strecke gehen“, sagt Jürgen Wurmthaler, der Verkehrsdirektor beim VRS. Der Verband müsse sich bei der Einführung der neuen S-Bahn-Züge auf die Kompetenz von Bahn und Bombardier verlassen können. „Wir erwarten, dass alles problemlos und fristgerecht verlaufen wird“, betont Wurmthaler bei dem Besuch in Aachen.