Die S-Bahn in der Region steht am Wochenende vor einem Qualitätssprung. Zwei neue Strecken werden eröffnet, der durchgängige Nachtverkehr startet. Doch die Feierlaune ist nicht ungetrübt.

Stuttgart - Verkehrsminister Winfried Hermann, der oberste Bahn-Repräsentant in Baden-Württemberg, Eckart Fricke, der Regionalpräsident Thomas Bopp, Landräte, Oberbürgermeister, Abgeordnete und Kommunalpolitiker – im Eröffnungszug für die verlängerte S-Bahnlinie 4 (Marbach–Backnang) und die neue Querverbindung S 60 (Renningen–Böblingen), der am Samstag von Backnang nach Renningen fährt, wird es wohl so eng wie morgens in der S-Bahn im Berufsverkehr. Mit „Pauken und Trompeten“, so der Verband Region Stuttgart und die Bahn AG, wird an den Bahnhöfen das neue S-Bahn-Zeitalter gefeiert, zu dem auch gehört, dass an diesem Wochenende erstmals die S-Bahnen regelmäßig nachts verkehren.

 

Doch neben den offiziellen Lobliedern auf den Nahverkehr wird es – zumindest hinter vorgehaltener Hand – am Samstag wohl auch kritische Stimmen geben. Anlass dazu geben nicht nur die momentanen Verspätungen im S-Bahnverkehr (die StZ berichtete), die der Bahn angelastet werden. Mehr noch lässt der Streit zwischen der Region und den Kreisen um die Zuständigkeiten im Nahverkehr Missklänge im Eröffnungstrara ertönen. Weil in den Kreisen Rems-Murr und Esslingen keine Busse, sondern Taxis verkehren, ist es zwischen der Region, die für die S-Bahn zuständig ist, und den Landräten, die den Busverkehr verantworten, zu einem heftigen Streit gekommen. Regionalpolitiker von CDU, SPD und Grünen, die die Taxilösung als unzureichend kritisieren, erheben erneut die Forderung, mehr Kompetenzen im Nahverkehr zu erhalten. „Wir brauchen einen ÖPNV aus einem Guss“, sagen sie. Die Landräte, unterstützt vom Stuttgarter Rathaus, verteidigen ihre Zuständigkeiten. Dabei blicken die Beteiligten, die ihre Anliegen in Brandbriefen kundtun, gespannt auf die grün-rote Landesregierung, die laut Koalitionsvertrag zumindest prüfen will, ob die Region neue Aufgaben im ÖPNV erhält.

Kostensteigerung bei der S 60 trübt die Feierstimmung

Allerdings gibt es auch andere Gründe, warum nicht alle in reine Jubelstimmung verfallen. So ist im Kreis Böblingen noch in Erinnerung, dass die S 60 eigentlich schon vor Jahren fahren und knapp 100 Millionen Euro kosten sollte. Jetzt rechnet man mit Baukosten jenseits der 150-Millionen-Euro-Grenze. Der Ringschluss Marbach–Backnang im Norden der Region wird auf elf Millionen Euro veranschlagt. Da dort – wie auch bei der S 60 – noch weitere Arbeiten anstehen, bereitet Jürgen Wurmthaler, der Verkehrsdirektor der Region, schon mal auf Hiobsbotschaften vor. „Das wäre das erste Projekt, das auf den Punkt genau abgewickelt wird“, sagt er.

Neue Linien Die Strecken verbinden bestehende S-Bahn-Trassen. Die S 60 fährt von Böblingen (S 1) nach Renningen (S 6), die längere S 4 schließt die Lücke zwischen Marbach und Backnang, dem Endpunkt der S 3. Erstmals werden damit im auf Stuttgart zentralisierten S-Bahn-Netz sogenannte Tangentiallinien eröffnet, die vor allem den öffentlichen Nahverkehr in den betroffenen Kreisen verbessern. So wird beispielsweise erwartet, dass die S 60 besonders für Beschäftigte des Daimlerwerks in Sindelfingen attraktiv ist. Beide Strecken nutzen im Übrigen bestehende Trassen, die bisher für den Güterverkehr (S 60) oder für Regionalzüge (S 4) verwendet und nun ausgebaut wurden. Bauherrin der beiden Strecken ist die Deutsche Bahn AG, Finanzierungsträger ist die Region. Kreise und Kommunen tragen einen Teil der Kosten.

    Nacht-S-Bahnen Vom 8. Dezember an verkehren S-Bahnen in den Nächten zum Samstag und zum Sonntag sowie in den Nächten zu Feiertagen. Das ist das Ergebnis einer Erfolgsgeschichte. Seit dem Jahr 2000 setzt die Region Nachtbusse ein, die vom Stuttgarter Schlossplatz in die Kreise fahren. Die Zahl der Fahrgäste stieg von 14.200 zu Beginn auf 220.000 im vergangenen Jahr. Das war das Signal für die Region, dieses Angebot auf die S-Bahnen umzustellen. Auf allen S-Bahnlinien gibt es nun je drei Abfahrten im Stundentakt in der Zeit zwischen 2 und 5 Uhr. Dieses zusätzliche Angebot kostet rund 1,6 Millionen Euro pro Jahr. Davon profitieren auch Frühschichtler und Flugreisende. Aus allen Richtungen der Region gibt es eine Verbindung, mit der man bis gegen 4.32 Uhr am Flughafen in Echterdingen ankommen kann. Allerdings erwartet die Nachtschwärmer, wenn sie an den S-Bahn-Stationen im Umland angekommen, ein höchst unterschiedliches Angebot. In den Kreisen Böblingen und Ludwigsburg verkehren Nachtbusse (auch auf der S 60 und zwischen Marbach und Backnang). Dafür bringen die Kreise und Kommunen jährlich 400.000 Euro auf. Die Kreise Rems-Murr und Esslingen setzen von drei Nachtbuslinien abgesehen auf Taxis, die an den Stationen bereitstehen oder bestellt werden müssen. Im Rems-Murr-Kreis wird dafür 120.000 Euro ausgegeben, zudem müssen die Fahrgäste für die Taxifahrt 1,50 Euro Zuschlag bezahlen.

Landräte treten auf die Kostenbremse

Im Kreis Esslingen war vom Landkreis ein 415.000 Euro teures Konzept ins Gespräch gebracht worden, dagegen wehrten sich aber einige Kommunen, darunter die Stadt Esslingen, weil sie 70 Prozent der Kosten hätten tragen sollen. Nun gibt es im Kreis Taxiangebote unterschiedlicher Ausprägung: In Esslingen, Plochingen, Kirchheim und Wernau muss für die Fahrt im Taxi zusätzlich zum VVS-Ticket zwischen zwei und sechs Euro bezahlt werden, in Wendlingen, Filderstadt und Leinfelden-Echterdingen ist sie in den VVS-Tarif integriert. Die Regionalpolitiker sprechen von einem „Flickenteppich“, die Landräte entgegnen, man müsse auf die Kosten achten. Immerhin: sollte die Nachfrage wachsen, könnten auch dort Nachtbusse fahren.

Den aktuellen Streckenplan mit neuen S-Bahn-Linien und Nachtbussen finden Sie hier zum Download.

Weitere Informationen unter
www.vvs.de, www.nachtaktiv.net und www.s-bahn-region-stuttgart.de