Physiker der Uni Stuttgart drucken winzige Objektive auf Glasfaser oder Mikrochip für neue Anwendungen in Medizin- und Kameratechnik. Doch die Minitechnik ist so heiß, dass sich auch Geheimdienste dafür interessieren dürften.

Stuttgart - „Mehr Licht”, sagt Harald Giessen, schiebt sich die Brille ins kurz geschorene Haar und schaut noch einmal mit bloßem Auge durchs Mikroskop. Darunter befindet sich auf einer Teststruktur eine winzige Miniaturoptik von der Größe eines Pusteblumensamenkorns. „Wow“, sagt der Physikprofessor und Leiter des 4. Physikalischen Instituts der Universität Stuttgart. Es gilt die feinen Strichlein auf der Teststruktur auseinander zu halten und damit die Auflösung der Minaturoptik zu bestimmen.

 

Giessen will jetzt den Rekord. Er macht auf der Teststruktur Auflösungen von unter einem Mikrometer aus. „Das ist der Hammer.“ Die Szenerie wird etwas turbulent. Jetzt muss jeder durchs Mikroskop schauen, ob er noch feinere Teststrukturen sehen kann: Masterstudent Simon Ristok, der die Minioptik über Nacht auf dem 3D-Drucker ausgedruckt hat, Simon Thiele vom benachbarten Institut für Technische Optik, der das Optikdesign berechnet hat, sowie Timo Gissibl, der über zwei Jahre mit Doktorvater Harald Giessen die neue Technologie anwendungsreif gemacht hat und jetzt bei einem Start-Up in Karlsruhe arbeitet.

Das Nanooptik-Team von Giessen hat die Premiere gut vorbereitet. Der Rekord der 3D-gedruckten Minioptik dürfte bei 0,78 oder 0,98 Mikrometern (Tausendstel Millimeter) liegen, je nachdem, wessen Auge man vertraut. „Die 1-Mikrometer-Grenze haben wir geknackt“, bilanziert Giessen und lacht. Damit wäre dieser Minioptik-Prototyp in etwa so leistungsstark wie ein 500-Euro-Profiobjektiv eines Mikroskops oder eines Fotoapparats.

Bei den Minioptiken geschieht alles auf Knopfdruck und im Computer

Angeregt durch den Rekord diskutieren die Physiker, wie sie ihre Technik verbessern und weiteres Neuland betreten. „Man könnte die Zahl der Linsen von zwei auf drei erhöhen“, sagt Simon Thiele, „eine Antireflexschicht aufbringen oder mit den Materialien spielen.“ Für Giessen bringt die 3D-gedruckte Minioptik gleich zwei Neuerungen: in der Herstellungstechnik und in den Anwendungsfeldern. Beide Bereiche sind gleichermaßen faszinierend. In der aktuellen Ausgabe des Fachmagazins „Nature Photonics“ stellen die Forscher ihre Neuentwicklung vor.

Bislang braucht ein Optikhersteller für das Formen einer Glaslinse eigene Prozesse und Maschinen. Bei den Minioptiken geschieht alles auf Knopfdruck und im Computer, berichten die Forscher. Per Software kann der Ingenieur Simon Thiele beispielsweise die optimale Form eines ein- bis drei Linsensystems für bestimmte Anwendungen ausrechnen. In der Wahl der Linsenform ist der Ingenieur frei: Das anschließende 3D-Druckverfahren erlaubt eine beliebige Linsengeometrie. Die Ingenieure sprechen von sogenannten Freiformflächen der Linsen anstatt üblicher sphärischer oder asphärischer Geometrien. Damit können sehr viel einfacher Abbildungsfehler von Linsensystemen korrigiert werden.

Die Forscher haben alle Gestaltungsfreiheiten eines 3D-Drucks

Für den 3D-Druck der Linse trägt Timo Gissibl etwas UV-Fotolack auf ein Glasplättchen. Ein Infrarotlaser schießt Lichtpulse in den Lack. Im Fokus des Laserstrahls ist die Energie so hoch, dass sich zwei Infrarot-Lichtquanten zu einem UV-Lichtquant addieren und genau dort den UV-Lack aushärten. Rund 500 Schichten baut die Maschine des Karlsruher Unternehmens Nanoscribe in fünf Stunden auf. Die Forscher haben dabei alle Gestaltungsfreiheiten des 3D-Drucks. Wenn der Linsendesigner Simon Thiele beispielsweise sagt, durch kleine Noppen auf der Linsenoberfläche ließe sich die Abbildungsqualität verbessern, dann können die Materialforscher auch das mit der Maschine realisieren.

Das Team von Harald Giessen ist genauso von den Anwendungsmöglichkeiten begeistert. Gerade hat Giessen sich die kleinste Drohne in einem Elektronikshop gekauft. Der Mini-Quadcopter hat die Abmaße einer Streichholzschachtel. Die möchte der Physiker demnächst mit Minioptikkameras ausrüsten. Dazu bringen die Forscher ihre Minioptiken auf kommerziell erhältliche Kamerachips auf. Die Lichtstärke ist dabei natürlich krass reduziert: Die Minioptik deckt vielleicht nur rund 10 000 Pixel ab. Dafür können die Forscher aber mehrere Optiken mit verschiedenen Brennweiten, etwa 30mm, 50mm, 80mm und 120mm, nebeneinander setzen. Der Effekt ist wie bei einem Adlerauge, meint Giessen. Man kann gleichzeitig ein scharfes Weitwinkelbild aufnehmen und in bestimmte Bereiche des Bilds immer tiefer hinein zoomen. Die Fachwelt nennt das „foveated imaging“.

Die Technik ist so heiß, dass sich auch Geheimdienste dafür interessieren dürften

Kürzlich ist es den Forschern gelungen, eine Minioptik auf das Ende einer Glasfaser zu drucken. Timo Gissibl hat dazu eine Halterung entwickelt, um die nur haarfeine Faser im 3D-Laserdrucker zu positionieren. Mit Endoskopieherstellern ist die Arbeitsgruppe schon in Kontakt. Das beschert der Branche einen Technologiesprung und auch -vorsprung, sind sich die Forscher sicher. Über das Internet kommunizieren die Forscher mit Kooperationspartner daher nur verschlüsselt. Und Harald Giessen telefoniert aus Sicherheitsgründen nur mit dem alten Klapphandy. Die Technik ist so „heiß“, dass sich auch Geheimdienste und die großen US-amerikanischen Internetkonzerne dafür interessieren dürften. Mit denen will Giessen aber nicht in Verbindung gebracht werden.

„Das ist schönste Forschung made in Baden-Württemberg“, sagt Giessen. Unterstützt durch die Förderinitiative „Spitzenforschung“ durch die Baden-Württemberg Stiftung wird die Technologie an der Uni Stuttgart entwickelt, der Hersteller der 3D-Laserdrucker wurde aus der Uni Karlsruhe ausgegründet und die potenziellen Anwender in der Medizintechnik sitzen im Schwarzwald.