Nanosilber macht lästigen Keimen oder krank machenden Bakterien den Garaus. Aber ob es für Menschen auch ungefährlich ist, das wissen Experten noch nicht.

Stuttgart - Mit Silber kann manches Nützliche gemacht, aber auch viel Schindluder getrieben werden. Darüber waren sich die rund 200 internationalen Experten einig, die vergangene Woche zu einer Konferenz ins Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) nach Berlin gekommen waren. Thema waren nicht etwa Kursmanipulationen mit dem begehrten Edelmetall, das in der Finanzkrise vielen als sicherer Hafen gilt. Es ging vielmehr um mit bloßem Auge unsichtbares Silber, um winzige Partikel, nur wenige Nanometer (Millionstelmillimeter) groß. Dieses Nanosilber hat als Zusatz für Verbrauchsprodukte in den letzten Jahren Karriere gemacht.

 

Es wird Reinigungsmitteln und Deosprays zugesetzt und soll T-Shirts, Unterwäsche oder Socken vor Schweißgeruch schützen. Zunehmend wird es in Beschichtungen eingearbeitet, bei Toilettensitzen ebenso wie bei Kühlschränken und Zahnbürsten. Auch Babys können schon auf Silber beißen, wenn Beißring oder Nachzieh-Entchen entsprechend präpariert sind. Schätzungsweise mehr als 300 Produkte, die Nanosilber enthalten, sind mittlerweile auf dem weltweiten Markt.

Doch dessen Wirkung auf Gesundheit und Umwelt ist noch weitgehend ungeklärt. Dass die Produkte dennoch verkauft werden dürfen, liegt an der Gesetzgebung. Eine offizielle Zulassung für Nanosilberprodukte ist derzeit nur bei medizinischen Anwendungen nötig. Bei Textilien und vielen Konsumartikeln muss Nanosilber nicht einmal deklariert werden. "Gesundheitliche Risiken lassen sich so nur schwer bewerten", sagt Bernd Schäfer, Toxikologe am BfR. Deshalb empfiehlt das Institut, auf den Gebrauch von Produkten mit Nanosilber vorerst zuverzichten, insbesondere wenn die antimikrobielle Wirkung auch mit haushaltsüblichen hygienischen Maßnahmen erzielt werden kann.

Menschliche Zellen können Schaden nehmen

Die Verbraucher sollten abwarten, bis genügend Informationen über mögliche Risiken vorlägen, lautet die Empfehlung. Mehr Klarheit zu schaffen, war auch das Ziel der wissenschaftlichen Tagung am BfR mit Experten aus Wissenschaft, Industrie und Regulierungsbehörden.

Die winzigen Teilchen sind deshalb so gefragt, weil Silber lästigen Keimen oder krank machenden Bakterien den Garaus machen kann. Das wussten schon die alten Römer, die Getränke in Silbergefäßen lagerten, und auch heute noch wird das Metall mancherorts zur Wasseraufbereitung eingesetzt. Ein großer Trumpf ist die keimtötende Wirkung des Silbers in der Medizin. Vor allem als Bestandteil von Wundauflagen bei der Behandlung von Verbrennungen spielt es eine große Rolle. Auch als Beschichtung von Kathetern, Schläuchen und Implantaten wird Nanosilber verwendet, um Keimwachstum zu verhindern.

Die antimikrobielle Wirkung geht von Silberionen aus, die in wässrigem Milieu freigesetzt werden und Mikroorganismen schädigen, so dass diese absterben. Aber auch menschliche Zellen können Schaden nehmen, wenn ausreichende Mengen an Silber in den Körper gelangen - über die Nahrung, das Einatmen oder durch die Haut. Nanosilber dringt in Zellen ein und bildet eine Art Depot, aus dem nach und nach Ionen freigesetzt werden. Tierversuche zeigen, dass Nanosilber bis ins Gehirn gelangen kann - und zwar umso besser, je kleiner die Metallteilchen sind.

Gefahr für den Menschen?

"Im Tierversuch zeigen sich gehemmte Blutgerinnung, erhöhter Cholesterinspiegel, Wucherungen in der Leber", sagt Richard Winterhalter vom Bayerischen Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit. Die Münchner Einrichtung betreibt das Projekt "Lebensmittel und Nanopartikel" (LENA).

Die Frage, ob die wenigen Beobachtungen aus Tierversuchen oder an Zellkulturen auch auf den Menschen übertragbar sind, ist laut Schäfer derzeit nicht zu beantworten. Ebenso wie die Frage, ob die den Tieren zugeführte relativ hohe Dosis an Nanosilber realistisch ist für die mögliche Aufnahme beim Menschen. Denn überraschenderweise fanden die LENA-Experten in Proben von "Silberwasser" meist viel weniger Nanosilber als angegeben. Manchmal enthielten die Lösungen, die in der Alternativmedizin etwa gegen Darmbeschwerden eingesetzt werden, auch gar kein Silber.

Das Silberwasser lässt sich übers Internet leicht beziehen, wo es unter anderem als "natürliches Antibiotikum" angepriesen wird. Der Verkauf des esoterischen Mittels ist in Deutschland eigentlich nicht gestattet, denn für Anwendungen, bei denen ein therapeutischer Nutzen versprochen wird, ist eine Zulassung nötig. In Bedarfsgegenständen kann Nanosilber jedoch verwendet werden. Hier gibt es keine deutschland- oder EU-weiten Regulierungen.

Bakterien können gegen Nanosilber resistent werden

Für die Verwendung von Silber als Wirkstoff gegen Schädlinge (Biozid) gibt es in der EU einen Zeitplan: "Ab 2014 werden alle als Biozid verwendeten Stoffe eine Zulassung benötigen", sagt Ulrike Frank von der Schwedischen Chemikalien-Agentur (KEMI), die im Auftrag der EU die nötigen Daten zusammenträgt. So hat sich die Behörde auch Nanosilber vorgenommen, das in Textilien als Geruchsstopper diente. Es zeigte sich, dass der Wirkstoff schnell ausgewaschen war, sagt Frank: "Nach dreimaligem Waschen war die Hälfte, nach zehn Waschgängen bis zu 98 Prozent des Nanosilbers verschwunden."

Doch ähnlich wie bei Antibiotika können Bakterien sich anpassen und mit der Zeit auch gegen Nanosilber resistent werden. "Wir wissen bisher nicht, ob eine unkontrollierte, großflächige und niedrig dosierte Anwendung die Selektion von Silberresistenzen und die Ausbreitung von Multiresistenzen gegen Antibiotika fördert", sagt der BfR-Experte Bernd Schäfer. Der Toxikologe plädiert auch dafür zu untersuchen, wie in Textilien enthaltenes Nanosilber langfristig auf die Hautflora wirkt. Erste von der Industrie beauftragte Studien hätten keine schädlichen Folgen gefunden. Nötig seien jedoch unabhängige Untersuchungen sowie eine Zulassungspflicht für Biozide - egal für welchen Zweck sie eingesetzt werden.

Dann dürfen in Textilien und anderen Konsumartikeln nur behördlich überprüfte Wirkstoffe eingesetzt werden. Sinnvoll wäre zudem eine Kennzeichnungspflicht für Produkte, die Nanosilber enthalten. Dann können besser informierte Verbraucher entscheiden, ob sie Kleidung mit Nanosilber kaufen oder lieber auf das Antischweißmittel verzichten.

Wozu die Partikel genutzt werden

Herstellung: Unter Nanosilber (nanoskaligem Silber) versteht man Teilchen metallischen Silbers, die weniger als 100 Nanometer (Milliardstelmeter) groß sind. Sie können aus Silberdraht durch mechanische Zerkleinerung oder durch chemischen Zusammenschluss einzelner Silberatome hergestellt werden. Silber schädigt Keime und wirkt dadurch desinfizierend (Biozid).

Eigenschaften: Bei Nanosilber ist die biozide Wirkung besonders stark ausgeprägt, da es wegen seiner verhältnismäßig großen Oberfläche vergleichsweise viele Silberionen freisetzen kann. Zudem können die Silberpartikel ins Innere lebender Zellen gelangen. Dort bilden sie eine Art Depot, aus dem kontinuierlich Silberionen strömen, die die Funktion der Zelle beeinträchtigen.

Produkte: Weltweit hat die Zahl von Produkten, die Nanosilber enthalten, in den letzten Jahren stark zugenommen. Nanosilber wird für Hygiene- und Kosmetikzwecke eingesetzt, als Zusatz zur Beschichtung von Oberflächen, für Material zur Aufbewahrung oder Verpackung von Lebensmitteln, in Textilien oder Lacken. In Deutschland gibt es für Konsumartikel mit Nanosilber keine Kennzeichnungs- oder Zulassungspflicht. Bei medizinischer Anwendung ist eine Zulassung notwendig. Die EU plant, eine Zulassungspflicht für Biozidprodukte mit Nanosilber einzuführen.