Zwei Forschern platzt der Kragen: Man wisse genug über die Risiken, um den Einsatz von Nanopartikeln aus Silber endlich zu regulieren. Doch andere sind skeptisch. In jedem Fall wächst der Druck, denn es kommen immer mehr Produkte mit Nanosilber auf den Markt.

Stuttgart - Steffen Foss Hansen und Anders Baun finden, dass es reicht. Es gebe inzwischen genug wissenschaftliche Übersichtsarbeiten über die Wirkung von Nanosilber auf Mensch und Umwelt. Die Europäische Kommission solle daher zur Tat schreiten und den Einsatz von Nanosilber in Konsumprodukten regulieren, schreiben die beiden Wissenschaftler von der Technischen Universität Dänemarks in einem Kommentar im Fachmagazin „Nature Nanotechnology“.

 

Stattdessen hat die Kommission im Dezember ihre wissenschaftliche Beratergruppe zu neu auftretenden und neu identifizierten Gesundheitsrisiken, abgekürzt SCENIHR, beauftragt, noch eine Übersicht über den Wissenstand der Nanosilber-Risikoforschung anzufertigen. Das werde keine neuen Erkenntnisse bringen, prophezeien Foss Hansen und Baun. Die Kommission scheue den Konflikt und kaufe sich mit dem überflüssigen SCENIHR-Gutachten Zeit.

Bakterien könnten resistent gegen Antibiotika werden

Der Druck, den Einsatz von Nanosilber zu reglementieren, wächst mit dessen Verbreitung in Verbraucherprodukten. Hersteller zielen mit dem antimikrobiell wirkenden Edelmetall auf das Hygienebedürfnis vieler Verbraucher. Beispielsweise töten in Textilfasern eingebundene Silbernanopartikel Bakterien, die bei Schweiß Gerüche erzeugen. Nicht nur in Polohemden, Unterhosen und Socken findet man laut einer Datenbank des Bundes für Umwelt- und Naturschutz Deutschland (BUND) Nanosilber, sondern auch in Bettdecken, Fassadenfarben und Geschirrspülmitteln. Nanopartikel aus Silber sind inzwischen das verbreitetste Nanomaterial in Verbraucherprodukten.

Die größte Sorge, die der Boom des Nanosilbers bei Forschern, Verbraucher- und Umweltschützern und auch bei Behörden auslöst: Bakterien könnten durch die Allgegenwart von Nanosilber resistent gegen das Edelmetall werden und darüber hinaus gegen einige Antibiotika. Somit fielen Silber und womöglich weitere antimikrobielle Mittel als Waffe gegen Keime im medizinischen Bereich weg, etwa bei Brandwundverbänden. Das Bundesinstitut für Risikobewertung hatte daher Ende 2009 die Hersteller aufgefordert, auf Nanosilber in Lebensmitteln und Verbraucherprodukten zu verzichten, bis eine abschließende Risikobewertung vorliege.

Allerdings basiert diese Forderung auf einer lückenhaften Datenbasis. Für die befürchtete Resistenzbildung gibt es derzeit lediglich Hinweise: So traten beispielsweise resistente Keime in der Mundflora von Patienten mit silberhaltigen Zahnfüllungen auf. Zudem befindet sich bei einigen Mikroorganismen die genetische Information für den Resistenzeffekt auf DNA-Abschnitten, die gleichzeitig die Gene für Antibiotika-Resistenzen tragen. Dies weist auf die gefürchtete Multiresistenz hin, bei der die Resistenz gegen Nanosilber mit der gegen Antibiotika einhergehen könnte.

Erste Vorschläge für gesetzliche Bestimmungen

Ob diese Befunde ein tatsächlich relevantes Risiko darstellen, muss noch erforscht werden. „Eine entscheidende, aber vollkommen ungeklärte Frage ist, ob eventuelle resistente Keime nicht nur im Labor, sondern auch in der Umwelt überleben können“, sagt etwa Bernd Nowack vom Schweizer Forschungsinstitut EMPA in St. Gallen.

Wolfgang Kreyling vom Helmholtz-Zentrum München, der SCENIHR als Experte bei früheren Gutachten beraten hat, findet, dass es zu früh ist, um Nanosilber zu regulieren. „Es ist leicht, eine Regulierung zu fordern, aber es ist wegen des Wissensmangels schwer zu sagen, wie diese konkret aussehen soll.“

Zwei Möglichkeiten, trotz des Unwissens zu regulieren, sieht Stefan Gammel, Experte für Nanoregulierung an der Technischen Universität Darmstadt: erstens eine Pflicht für Hersteller, Nanopartikel zu deklarieren, was die kontinuierliche Überwachung der Produktion, Verwendung und der Wege der Partikel in die Umwelt ermögliche. „Dadurch wäre man in der Lage, im Fall negativer Auswirkungen rasch zu handeln“, sagt Gammel. Der zweite Ansatz: eine stärkere Anwendung des Vorsorgeprinzips. „Wenn die Unbedenklichkeit von Nanosilber nicht garantiert werden kann oder sogar berechtigt angezweifelt wird, dann sollte gefragt werden: Brauchen wir diese Produkte überhaupt?“

Foss Hansen und Baun verweisen in ihrem Kommentar auf einen Vorschlag ihres Forscherkollegen Samuel Luoma. Demnach sollten Nanozutaten von Produkten anhand ihrer speziellen physikalischen und chemischen Eigenschaften identifiziert und ihr Lebensweg von der Herstellung über die Nutzung bis zur Entsorgung verfolgt werden können. Ins gleiche Horn stößt Sylvia Maurer vom Europäischen Verbraucherverband BEUC in Brüssel: „Wenn es von den Herstellern keine Daten gibt, dann sollte es auch keinen Markt geben.“