Eigentlich sollte es um den musischen Bereich gehen, aber der wird auf der Kultusministerkonferenz schnell zum Anhang. Im nationalen Bildungsreport sorgt man sich um den schleppenden Kita-Ausbau und die Chancen für Migrantenkinder.

Berlin - Das Reizwort Betreuungsgeld scheuen die Kultusminister bei ihrer Tagung in Berlin wie der Teufel das Weihwasser. Auch Horst Weishaupt vom Deutschen Institut für Internationale Pädagogische Forschung, der für die Autoren des am Freitag vorgestellten Nationalen Bildungsberichts 2012 spricht, findet es „bedauerlich“, dass ihm in Vorabveröffentlichungen eine kritische Haltung zum Betreuungsgeld unterstellt wurde. „Zum Sinn des Betreuungsgeldes äußert sich unser Bericht gar nicht“, sagt der Frankfurter Sozialwissenschaftler. Die Studie weise nur auf „Ausgabenkonflikte“ hin.

 

Das ist zweifelsohne richtig, aber Kritiker des Betreuungsgeldes können die 344-seitige Bestandsaufnahme des deutschen Bildungswesens durchaus als Steinbruch für ihre Argumente nutzen. Explizit wird auf den Nutzen der frühkindlichen Förderung in Betreuungseinrichtungen hingewiesen. Ausführlich begrüßt wird der geplante Ausbau der Kitas bis 2013, bei dem noch 260 000 Plätze fehlten. Bund und Länder müssten ihre Bemühungen noch „massiv steigern“, um bis 2013 den Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz auch für unter Dreijährige einlösen zu können – im Fachjargon spricht man vom U 3-Ausbau. Und da findet sich im Bildungsbericht dann doch der Satz, aus dem man Kritik herauslesen könnte: „Da die Finanzierung des noch ausstehenden U 3-Ausbaus alle Beteiligten vor erhebliche Herausforderungen stellt, besteht die Gefahr, durch zusätzliche Leistungen wie dem Betreuungsgeld keines der intendierten Ziele zufriedenstellend realisieren zu können.“Aber nicht politischer Streit, sondern Licht und Schatten des Bildungswesens sollten bei der Vorstellung des seit 2006 alle zwei Jahre vorgestellten Berichts im Mittelpunkt stehen. Der amtierende Präsident der Kultusministerkonferenz, Ties Rabe (SPD) aus Hamburg, sieht das Bildungswesen auf dem richtigen Weg, er spricht von „guten Nachrichten“ und führt die verbesserten Kennzahlen auf den Ausbau der Ganztagsangebote und Schulreformen zurück, die die Durchlässigkeit zwischen den Schularten erhöht haben.

Jede zweite Schule hat ein Ganztagesangebot

Schon jede zweite Schule habe ein ganztägiges Angebot. „Das Bildungsniveau ist weiter angestiegen. Die Zahl der Abiturienten nimmt zu, die der Schulabbrecher sinkt.“ Im Jahr 2010 haben 49 Prozent aller Schulabgänger die Hochschulreife geschafft, gut ein Drittel davon das Fachabitur. Schon heute sei die Abiturquote bei den 30-Jährigen doppelt so hoch wie bei den 60-Jährigen. Die Zahl der Schulabgänger ohne jeglichen Abschluss ist von acht Prozent (2006) auf 6,5 Prozent (2010) gesunken. Das Statistische Landesamt in Stuttgart teilte kürzlich mit, dass in Baden-Württemberg die Quote der Schulabgänger ohne Hauptschulabschluss auf 5,1 Prozent gesunken sei.

Zu den Erfolgsmeldungen gehört auch, dass die Studienanfängerquote, die angibt, wie viele Schüler eines Abi-Jahrgangs ein Studium aufnehmen, 2011 bei 55 Prozent gelegen habe. Das sei deutlich mehr, als man beim Bildungsgipfel vor vier Jahren in Dresden als Zielmarke vorgegeben habe.

Eine große Herausforderung bleibt der Kita-Ausbau

Trotz der Jubelstimmung bleibt es bei „großen Herausforderungen“, wie Rabe und Weishaupt unisono betonten. Da ist erstens der erwähnte schleppende Ausbau der Kita-Plätze. Zweitens treibt die Bildungsforscher die Situation von Schülern aus Migrantenfamilien um. Das System kennt seine Verlierer. Man habe schon große Anstrengungen unternommen, sagt Rabe, um die Benachteiligungen der Migrantenkinder zu beheben und gerade die Kitas mit ihrer Sprachförderung haben eine Schlüsselrolle inne. „Trotz Verbesserungen haben Jugendliche und Erwachsene mit Migrationshintergrund nach wie vor einen deutlich niedrigeren Bildungsstand. Unter den 30- bis 35-Jährigen haben zehn Prozent gar keinen Schulabschluss, mehr als ein Drittel hat keinen Berufsabschluss.“ Und die Gruppe der Migrantenkinder wächst: Unter den 24-jährigen sind es 23 Prozent, bei den unter Einjährigen bereits 35 Prozent. Einig sind sich die Kultusminister in der Analyse, dass die Bildungswege vielfältiger und flexibler werden, und sie schlagen eine stärkere Koordination im Bildungswesen vor – wie das konkret aussehen sollte, bleibt aber offen: „Die Bildungspolitik muss die notwendigen Rahmensetzungen vornehmen“, heißt es vage.

Die musischen Fächer gehen oft unter

Nicht vergessen, aber nur am Rande behandelt wurde die musisch-ästhetische Bildung, die im Mittelpunkt des Berichts stehen sollte. Schon die Pisa-Studien fragen stets nur nach Kernfächern wie Lesen, Schreiben und Rechnen. „Wir wollten den Fokus auf die musischen Fächer setzen, weil die oft untergehen und beim Unterrichtsausfall rascher betroffen sind“, sagte Niedersachsens Kultusministerin Johanna Wanka (CDU). Unbestritten ist der hohe Wert von Musik und Kunst für die Persönlichkeitsentwicklung. Überraschendes ist hierzu wenig zu finden im Bericht: Kinder aus Elternhäuser mit niedrigem Sozialstatus spielten seltener Theater oder ein Instrument, heißt es beispielsweise. Und wenn Eltern musizieren, tun dies auch ihre Kinder öfter. Geöffnet wird immerhin der Begriff der musischen Bildung in Richtung neue Medien wie Internet, in denen Jugendliche neue Ausdrucksformen finden. Am stärksten ist musische Bildung im frühen Kindesalter verankert, 90 Prozent der Kinder malen, basteln und machen Musik. Erschreckend ist das im Bericht zitierte Eingeständnis von 57 Prozent der Fachkräfte in Kindergärten, dass sie sich bei der Vermittlung von Musik, Rhythmik, Tanz und Theaterspiel „nicht sicher“ fühlten.

Staatssekretärin Cornelia Quennet-Thielen, die die abwesende Bundesbildungsministerin Annette Schavan vertrat, will künftig auch benachteiligte Kinder für kulturelle Bildung gewinnen: „Ab 2013 fördern wir außerschulische Angebote für diese Kinder unter dem Motto: Kultur macht stark!“