Nach der Partie gegen Gibraltar am Freitagabend will der Bundestrainer grundsätzliche Veränderungen in der Nationalelf angehen und aus dem alten Trott ausbrechen.

Nürnberg - Man kann nicht behaupten, dass die 15-köpfige Gruppe aus dem Fachbereich Ressortjournalismus der Hochschule für angewandte Wissenschaften in Ansbach am Donnerstag bloß wegen der Anwesenheit des Bundestrainers große Augen gemacht hat. Aber die Ohren spitzten die Studenten schon, als Joachim Löw in der Pressekonferenz im Nürnberger Stadion vor dem EM-Qualifikationsspiel an diesem Freitag gegen Gibraltar (20.45 Uhr/RTL) weit reichende Grundsatzüberlegungen  anstellte. „Der Fußball hat sich weiterentwickelt, und auch wir müssen uns weiterentwickeln: Ich werde mir über die Winterpause Gedanken machen, und wir werden Veränderungen vornehmen“, sagte der 54-Jährige.  Die nötigen Korrekturen bei Spielphilosophie und Personalauswahl, bei System und Taktik  sind von seiner Seite mit fester Stimme angesprochen worden.

 

Da scheint ein Fußballlehrer zu ahnen, dass er aus dem alten Trott ausbrechen muss. Weil Stillstand eben Rückschritt ist. Konkret erwägt Löw eine Dreierabwehrkette für das nächste Jahr; diese Variante hätte nicht nur den charmanten Vorteil, dass auch die Bayern-Profis diese Formation mittlerweile beherrschen, sondern sie könnte auch den Mangel auf der Außenverteidigerposition  kaschieren. Der Coach sprach von „neuen Impulsen und Reizen“, wollte sich zwar über die konkrete Ausgestaltung noch nicht äußern. Bei der Ideenfindung soll ja der Jahreswechsel helfen. Aber es klang kräftig durch: Die Reform 2015 scheint ihm weitaus wichtiger als ein Rekordsieg gegen Gibraltar.

Es gibt keine konkrete Treffervorgabe

Den bislang höchsten Sieg der deutschen Länderspielgeschichte – ein 16:0 gegen Russland aus dem Jahre 1912 – zu übertreffen sei kein Thema, „darüber sprechen wir intern nicht“. Es gebe auch keine konkrete Vorgabe einer bestimmten Anzahl von Toren, nur dies werde verlangt: „Wir müssen sie fordern, dass sie überfordert sind, dann werden wir unsere Tore erzielen.“ Seine Mannschaft solle in der erstaunlicherweise ausverkauften fränkischen Spielstätte ein Spiel machen, „das eines Weltmeisters würdig ist“.

Den Sieg schon vorher einzuplanen ist schlicht den Kräfteverhältnissen geschuldet, wenn der Weltmeister gegen einen Winzling antritt, der ungefähr den Leistungsstand einer Bezirksauswahl  aufbringt. Und es ist keine Geringschätzung, wenn Löw darauf verzichtet, seiner Mannschaft solche Kontrahenten wie Kyle oder Ryan Casciaro im Einzelnen näherzubringen. Der Chefscout Urs Siegenthaler habe das neue Uefa-Vollmitglied zwar dreimal beobachtet, aber „für die Mannschaft gibt es keine detaillierten Informationen“. Nur diese Botschaft: dass sich der Gegner mitunter „wie beim Feldhandball“ verhalte.

Wäre es nicht besser, einen Gnom wie Gibraltar in einer Vorqualifikation auszufiltern? Löw nahm dieses Zuspiel nicht an,  „weil das auf anderen Ebenen entschieden wird“. Vielmehr ärgert ihn das Tableau der Qualifikationsgruppe D, wo Deutschland nach aktuellem Stand nicht für die EM qualifiziert wäre. Im Rückblick auf die Auftritte in Polen (0:2) und gegen Irland (1:1)  gestand er: „Wir sind irgendwie auf dem harten Boden der Realität gelandet.“

Vom roten Teppich zurück auf den grünen Rasen

Dass bei Löw die ursprünglich einmal zu Testzwecken angedachte Partie am Dienstag in Vigo gegen Spanien einen größeren Stellenwert einnimmt, ist verbürgt. Noch immer ist der traumhafte Sommer in den Köpfen der Spieler; sie bekamen in Berlin vom Bundespräsidenten das Silberne Lorbeerblatt überreicht, sie schüttelten die Hand der Bundeskanzlerin, sie bekamen ihren eigenen Kinofilm vorgeführt – und zuvor schwebten sie über einen roten Teppich hinein. „Den tauschen wir jetzt gegen den grünen Rasen“, sagte Löw und schob nach: „Wir müssen lernen, die Vergangenheit Vergangenheit sein zu lassen.“

Aber noch kommen seine Kicker nur schwerlich aus der Komfortzone, wie ein Detail im Ablaufplan verrät: Sollte es gegen Gibraltar keine Blamage geben, darf die deutsche Elite das Wochenende daheim bei der Familie oder Freunden verbringen. Treffpunkt ist dann erst wieder Sonntagabend am Münchner Flughafen, von dem aus die DFB-Entourage nach Vigo jettet.