Ministerpräsident Kretschmann zeigt zwar Verständnis für die Nationalpark-Gegner, stellt aber zugleich klar, dass die Entscheidung über den Park das Land trifft – auch wenn die Region protestiert.

Stuttgart - Gefühle lassen sich nicht wegdiskutieren. Wortreich hat der Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) am Dienstag in Stuttgart versucht, die breite Ablehnung eines Nationalparks bei den Bürgerbefragungen zu begründen. Einer der Hauptgründe sieht Kretschmann in dem Naturverständnis, das im ländlichen Raum herrsche. Natur sich selbst zu überlassen, stoße dort auf Unverständnis.

 

In einem Nationalpark soll sich die Natur auf 75 Prozent der Fläche ungestört von menschlichem Einfluss entwickeln, es gibt keine forstwirtschaftliche Nutzung mehr. Viele Menschen vor Ort hätten deshalb den Eindruck, die Regierung lasse den Wald verkommen, wenn man das Holz viel besser zum Häuserbau und zum Heizen verwenden könnte, erläuterte Kretschmann eine Haltung, die ihm von Kindesbeinen an vertraut sei: „Ich bin auf dem Dorf aufgewachsen.“ Gegen solche Auffassungen würden Argumente ebenso wenig helfen wie gegen das Bild von „einem aufgeräumten Wald“, das manche Menschen als schön empfänden. „Über ästhetische Fragen lässt sich kein Konsens herstellen“, sagte Kretschmann. Man müsse aber auch die Dimension beachten: Nur 0,7Prozent der Waldfläche Baden-Württembergs sollen der Nutzung entzogen werden, sagte Kretschmann. Dieses Argument lassen die Gegner bei den Informationsveranstaltung nicht gelten, zumal beispielsweise auf der Gemarkung Baiersbronn 46 Prozent der Staatswaldfläche einbezogen werden sollen.

„Ich liebe solche Auseinandersetzungen“

Bekanntlich haben sieben Gemeinden die Meinung ihrer Bürger eingeholt. Aufgerufen waren 50 221 Wahlberechtigte. Tatsächlich stimmten 27 680 ab, davon waren 20 564 Bürger dagegen, das entspricht einer Ablehnung zwischen 64 bis 87 Prozent. Die Wahlbeteiligung in sechs Gemeinden, dort gab es eine Briefwahl, war mit 49 bis 81 Prozent sehr hoch. Einzig in Bad Herrenalb lag die Beteiligung nur bei 16 Prozent. Dort mussten die Bürger ihre Stimme persönlich im Rathaus abgeben, hatten dafür allerdings eine Woche Zeit.

Der Regierungschef nimmt diese Wortmeldungen aus der Region ernst, sagt er, hält aber am Zeitplan fest: Der Naturschutzminister Alexander Bonde (Grüne) werde in vier bis sechs Wochen einen Vorschlag für das Nationalparkgebiet machen. Ausschlaggebend seien die naturschutzfachlichen Beurteilungen, aber auch andere Gesichtspunkte wie das Borkenkäfermanagement. „In beschränktem Umfang“ werde auch die Ablehnung in den Gemeinden beachtet, sagte Kretschmann.

Der Dialog mit den Gemeinden jedenfalls soll weiter geführt werden, auch mit den harten Gegnern. Dabei schließt er sich selbst nicht aus: „Ich werde mich ins Getümmel stürzen. Ich liebe solche Auseinandersetzungen.“ Die Grünen hätten diese ja erfunden, sagte der Regierungschef selbstkritisch in Erinnerung an eigenes Verhaltens in der Vergangenheit. Es plage ihn, dass er noch kein Rezept habe, wie man in demokratischen Auseinandersetzungen verhindern könne, dass Teile der Bürgerschaft sich fanatisierten, es zu schweren „Kollateralschäden“ komme und Feindschaften entstünden.

Die Entscheidung trifft das Land

Die Entscheidung über einen Nationalpark treffe der Landtag und somit die Abgeordneten aus dem ganzen Land, stellte Kretschmann nochmals klar. Daran habe er nie einen Zweifel gelassen. Die Bürger seien von Anfang an beteiligt gewesen, das Gutachten, das rund 1600 Fragen aus der Region aufgegriffen und beantwortet habe, sei Teil des Dialogs gewesen. Aufgrund der Kritik habe es bereits Zugeständnisse gegeben, etwa für die örtlichen Sägewerke oder bei der paritätischen Beteiligung der Region, die zudem den Vorsitz in einem Nationalparkrat haben werde.

Ein Befürworter des Nationalparks, der Bürgermeister von Bad Wildbad, Klaus Mack (CDU), der bereits konkrete Vorschläge für ein touristisches Infrastrukturprogramm am Kaltenbronn sowie Kompromissvorschläge für ein Nationalparkgebiet gemacht hatte, will sich aufgrund des ablehnenden Bürgervotums nicht mehr beteiligen. Andere Kommunen wie Baden-Baden (siehe untenstehenden Bericht) und der Regionalverband Mittlerer Oberrhein sind dafür. Ein Nationalpark würde die „regionalplanerischen Ziele“ beim Natur- und Landschaftsschutz verwirklichen, sagte der Verbandsdirektor Gert Hager. Nach dem Bürgervotum sollte die Regierung die Vorbehalte und Ängste der Bürger aufnehmen und mit ihnen reden. „Bürgerwille in einen echten Dialog umzusetzen“, das fordert auch die Junge Union.