Grünes Licht für einen Nationalpark im Schwarzwald: Das jetzt vorgelegte 1200 Seiten starke Gutachten zeigt viele Chancen für Park – und nur wenige, aber beherrschbare Risiken. Die Szenarien sollen die erhofft sachliche Diskussion bringen.

Stuttgart - Die grün-rote Landesregierung will die bereits im Koalitionsvertrag angestrebte Einführung eines Nationalparks auf sichere Beine stellen. Deshalb sollte ein Gutachten erstellt werden. Der Klärungsbedarf – dazu gehörten rund 1530 Fragen von Bürgern aus der Region – war so umfangreich, dass das Gutachten europaweit ausgeschrieben wurde. Der Lenkungskreis Nationalpark Nordschwarzwald – bestehend aus den Regierungspräsidentinnen von Freiburg und Karlsruhe, den Landräten der Kreise Calw, Freudenstadt, Rastatt und des Ortenaukreises, dem Oberbürgermeister der Stadt Baden-Baden sowie dem Naturschutzminister Alexander Bonde (Grüne) – erteilte vor fast genau einem Jahr den Zuschlag an die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Pricewaterhouse-Coopers sowie an die Freiburger Ö-Konzept GmbH. Diese wurden von wissenschaftlichen Instituten, von der Universität Freiburg sowie der Stuttgarter Tourismusagentur Kohl & Partner unterstützt.

 

Jetzt liegt das 1200 Seiten umfassende Werk vor. Anhand von Szenarien wurden die möglichen Auswirkungen, Chancen und Risiken gerechnet und bewertet. Das Fazit der Expertise ist eindeutig: Ein Nationalpark wäre ein Gewinn, die wenigen Risiken wären durchaus beherrschbar. Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) hofft nun auf eine Versachlichung der hitzig geführten Debatte. Vorsorglich weist er aber nochmals daraufhin: der geplante Nationalpark soll 10 000 Hektar groß werden. Das seien nur 0,7 Prozent der Waldfläche in Baden-Württemberg. „Wenn man diese Größenordnung nicht beachtet, gerät die Debatte sofort wieder in eine Schieflage“, warnte der Regierungschef.

Welche Risiken gibt es für die Forst- und Holzwirtschaft?

Die Befürchtungen der Holz- und Sägeindustrie müssen ernst genommen werden. Allerdings sind die nachteiligen Auswirkungen durch fehlendes Holz aus einem Nationalpark nicht so gravierend, wie es deren Bundesverband jüngst darstellte. Lediglich 26 600 Festmeter Holz würden laut Gutachter jährlich weniger geschlagen werden können – das ist auch deutlich weniger als die von der Regierung geschätzte Menge von 50 000 Festmeter.

Die Gutachter haben die Strukturen der Holz verarbeitenden Betriebe vor Ort und deren regionale Holzbezugsquellen analysiert. Kleine und mittlere Betriebe der lokalen Sägeindustrie arbeiten aufgrund des Wettbewerbs „an der Grenze der Wirtschaftlichkeit oder sogar defizitär“, heißt es. Eine weitere Verknappung von Holz könnte ein „zusätzlicher Impuls für den Strukturwandel“ sein und zur Schließung einzelner Betriebe führen.

Im schlimmsten Fall, wenn Sägewerke schließen würden und dann aufgrund fehlender Verarbeitung vor Ort auch das Holzangebot aus Privatwäldern zurückginge, könnten letztlich bis zu 53 000 Festmeter Holz fehlen. Dieses Worst-Case-Szenario bedeutete einen Rückgang der Bruttowertschöpfung in Baden-Württemberg von rund acht Millionen Euro und brächte einen Verlust von 110 Arbeitsplätzen mit sich. Doch so weit wird es nicht kommen. Minister Bonde hat bereits vor der Vorstellung des Gutachtens der örtlichen Sägeindustrie zugesichert, die fehlende Holzmenge durch Lieferungen aus dem Staatsforst zu ersetzen. Die Sägewerke hätten keine negativen wirtschaftlichen Folgen und keinen Arbeitsplatzverlust zu erwarten, betonte Bonde.

Worin besteht die Chancen für den Tourismus?

Die Natur ist ein wichtiges Reisethema, Nationalparks sind laut Gutachter das am stärksten wachsende touristische Nachfragesegment. Die international bekannte Marke Nationalpark könnte dem Tourismus im Nordschwarzwald mit seinen gegen den Trend im Südschwarzwald rückläufigen Übernachtungszahlen den dringend nötigen Impuls verschaffen.

Die Gutachter haben ein Potenzial von jährlich rund 3,05 Millionen Besuchern errechnet. Sie gehen von annähernd 190 000 Übernachtungsgästen aus, die rund 90 Euro pro Tag ausgeben, und etwa 255 000 Tagestouristen (15 Euro täglich). Dies brächte der Region einen zusätzlichen Umsatz von 18,3 Millionen Euro – was etwa 430 Vollzeitsarbeitsplätzen entspräche. Ein Nationalpark brächte zudem wichtige Impulse für ein Umdenken und neues Handeln – durch neue Kooperationen vor Ort, durch Modernisierung und Qualitätsverbesserung von Angeboten sowie gänzlich neue Besuchermagnete, zum Beispiel Besucherzentren oder Wildtierreservate.

Die Gutachter weisen auch auf mögliche Risiken hin: dass etwa bisherige Gästegruppen wegbleiben oder es eingeschränkte Nutzungsrechte geben könnte. Insbesondere im Dreieck zwischen Nationalpark, Naturpark und Tourismus gebe es Berührungs- und Überschneidungspunkte. Diese ließen sich durch das richtige Management und mit „kooperativen Strukturen zum Positiven“ entwickeln.

Was ist der Ökologische Mehrwert für die Natur?

In einem Nationalpark steht der Prozessschutz im Vordergrund – hier darf sich Natur ungestört von menschlichem Einfluss entwickeln. Dies soll im Entwicklungsnationalpark Nordschwarzwald allerdings erst in 30 Jahren auf 75 Prozent der Fläche möglich sein. Bis dahin gelte es, die von Fichten dominierten Wälder naturnäher zu gestalten. 25 Prozent der Fläche sind sogenannten Managementzonen, in denen Eingriffe – etwa Offenhaltung der Grindenflächen, Schutz der angrenzenden Wirtschaftswälder vor dem Borkenkäfer – erlaubt sind.

Das Gutachten bescheinigt dem Nationalpark einen naturschutzfachlichen Mehrwert, der durch keine andere in der Region diskutierte Alternative – etwa ein Biosphärengebiet oder ein „Naturpark plus“ – erreicht werden könne. Wie sich der Wald allerdings weiter entwickle, sei konkret nicht vorher zu sagen. Das hänge von sogenannten Störfaktoren ab – von Stürmen oder Schädlingsbefall. Und dies wiederum habe Auswirkungen auf die weitere Tier- und Pflanzenwelt. Die Artenvielfalt jedenfalls lasse sich durch ein solches Schutzgebiet deutlich stabilisieren.

Kann der Borkenkäfer bekämpft werden?

Waldbesitzer machen sich große Sorgen, dass der Borkenkäfer ihre Bäume schädigen könnte, wenn im Nationalpark totes Holz nicht abtransportiert wird. Im Park selbst wird den Gutachtern zufolge maximal ein Viertel der Fläche in den nächsten 30 Jahren tatsächlich vom Borkenkäfer befallen. Großflächige vom Käfer befallene „Katastrophenwälder“ seien aber nicht zu erwarten. Die angrenzenden Wälder könnten geschützt werden, wenn um den Nationalpark herum ein mindestens 500 Meter breiter Pufferstreifen eingerichtet werde, in dem Borkenkäfer intensiv abgewehrt würden, erklären die Gutachter. Minister Bonde betonte, das Land habe den Puffer von vornherein vorgeschlagen. Das Gutachten zeige weitere Strategien auf.

Was sagen Politiker und Vertreter der Region?

Der Calwer Landrat Helmut Riegger ist der erste Vertreter aus der Region, der nach dem Gutachten Farbe bekennt. Er sieht sich durch das Gutachten in seiner Ansicht bestätigt, dass der Tourismus im Nordschwarzwald von einem Nationalpark profitieren würde. Kritisch sieht er nach wie vor das Borkenkäferproblem. Doch zeige das Gutachten Möglichkeiten auf, das Risiko zu minimieren. Er besteht auf einer Bürgerbeteiligung. Die Regierung müsse zeigen, dass die im Gutachten formulierten Risiken ausgeräumt werden können. Andernfalls sei keine breite Akzeptanz zu erreichen.

Die oppositionelle FDP bleibt bei ihrer Ablehnung und verlangt, dass die Bürger im Nordschwarzwald über das umstrittene Projekt abstimmen dürfen. Über die Sorgen der Bürger sollte sich die Regierung nicht hinwegsetzen, warnt der Fraktionsvorsitzende Hans-Ulrich Rülke. Laut Agrarminister Bonde ist das Projekt nicht bürgerentscheidsfähig.

Unentschieden präsentiert sich die CDU. Die Fraktion in Gestalt ihres Vorsitzenden Peter Hauk verlangt, dass die Diskussion nicht mit dem Gutachten beendet wird. Das Gutachten stelle mögliche Vorteile, aber auch Risiken für die Region dar. Die CDU wolle den weiteren Prozess moderierend begleiten. „Es ist wichtig, dass man die Ängste und Sorgen der Menschen ebenso ernst nimmt, wie ihre Begeisterung“, erklärt Hauk. Einzelne Mitglieder der Fraktion wie Günther-Martin Pauli, der Landrat des Zollernalbkreises, und der frühere Kultusminister Helmut Rau haben dagegen bereits ihre grundsätzliche Zustimmung signalisiert.

Für den Berufsverband der Förster hat das Gutachten „die ursprünglich rein politisch motivierte Ausweisung eines Nationalparks“ objektiviert. Die Förster lesen heraus, dass ein Nationalpark „naturschutzfachlich einen Mehrwert bringen kann“. Da vermutlich 95 Prozent der Parkfläche bewaldet sein werden, wollen die Förster umfassend beteiligt werden: an der Gebietsabgrenzung, bei der Erstellung der Managementpläne und beim Aufbau der Verwaltungsstrukturen.

Bei den Naturschutzverbänden ist die Freude erwartungsgemäß groß. Bund, Nabu und Greenpeace hoffen auf mehr Artenvielfalt, ein zügiges Gesetzgebungsverfahren und sehen die Sorgen durch das Gutachten entweder ganz entkräftet oder doch stark relativiert. Dagegen warnt die Säge- und Holzindustrie vor zu hohen Erwartungen an die Tourismuseffekte.