Unter dem Eis des Südozeans gibt es viel zu hören. Zwei Jahre lang haben Forscher um den Ozeanographen Sebastian Menze die Klänge in mehr als 200 Metern Tiefe mit einem speziellen Verfahren aufzeichnet. 

Stuttgart - Der Klang ist in einer riesigen Kathedrale einfach fantastisch – je größer das Gebäude, umso beeindruckender wird der Sound. Nach diesem Maßstab sollte Sebastian Menze den ultimativen Genuss haben. Der Forscher, der am Alfred-Wegener-Institut (AWI), dem Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung in Bremerhaven und vom Meeresforschungsinstitut im norwegischen Bergen tätig ist, lauscht einem Chor in einer Kathedrale, deren Decke mehr als dreitausend Meter über dem Boden liegt und deren Seitenwände einige Hundert Kilometer voneinander entfernt sind.

 

Sebastian Menze ist Ozeanograph, seine Kathedrale ist das Weddell-Meer, das sich wie eine gigantische Bucht aus dem Südpolarmeer in die Antarktis schiebt. Die Sänger passen sich diesen Dimensionen an, der Bass kann durchaus 30 Meter lang sein: Blauwale, die bis zu 30 Meter lang sind und in den Tiefen des Südpolarmeers vorkommen. Wer diesen Chor hören will, in dem auch Finnwale, Zwergwale, Seeleoparden, Eisschollen und gelegentlich große Eisberge ihren Gesang zum Besten geben, der ist auf alte, rostige Eisenbahnräder angewiesen: „Die ausrangierten Schwergewichte befestigen wir an einem Ende eines Seils aus extrem festen Kevlarfasern“, erklärt Sebastian Menze. Ans andere Ende hängen die Forscher ihre Messgeräte. Also zum Beispiel ein Unterwasser-Mikrofon, dessen Aufnahmen ein Rekorder aufzeichnet. Ins Wasser gehievt wurde diese Verankerung vom Hebekran des Forschungseisbrechers Polarstern, mehr als 3000 Meter tief ist das Wedell-Meer an dieser Stelle.

Aufzeichnungen über drei Jahre hinweg

Von März 2008 bis Dezember 2010 zeichneten zwei solcher Mikrofone in Tiefen von 217 und von 260 Metern an verschiedenen Stellen im Weddell-Meer fast drei Jahre lang die Chorgesänge des Südozeans auf. Dann löste ein akustisches Signal einen Mechanismus aus, der das Eisenbahnrad vom Rest der Konstruktion abtrennte. Befreit von diesem Gewicht zogen die Auftriebskörper das Seil samt Rekorder an die Wasseroberfläche und die Besatzung der Polarstern holte die Aufzeichnungen an Bord. Seither könnte Sebastian Menze dem Unterwasserchor lauschen. In der Zeitschrift „Royal Society Open Science“ berichtet Sebastian Menze nun gemeinsam mit anderen AWI-Forschern von den Analysen dieser Gesänge. Über weite Strecken wurden dabei Computerprogramme genutzt, die den Forschern das langwierige und recht eintönige Anhören der Aufzeichnungen und die Analyse abnehmen.

Wie es sich für einen Bass gehört, sind die Meeresriesen in den tiefsten Tonlagen unterwegs, der typische Ruf eines Blauwals liegt bei 18 und 27 Hertz und ist damit zu tief, um von einem Menschen gehört zu werden. Diese tiefen Töne aber tragen viele Hundert Kilometer weit. Auch das hohe Quietschen zweier aneinander reibender Eisschollen und das dumpfe Krachen, mit dem zwei Eisberge miteinander kollidieren, sowie die Bariton-Gesänge der bis zu zehn Meter langen Zwergwale dringen weit durch das Wasser.

Hier können Sie sich die Meeresgeräusche anhören:

Eisschollen, die aneinander reiben

Eisberge, die krachend kollidieren

Gesang eines Zwergwals

Monumentaler Chor

Diese Klänge werden an der Oberfläche des Meeres und am Grund zurückgeworfen und kommen dann als Echo zurück. Ein solcher Widerhall sehr vieler verschiedener Töne erinnert an den überwältigenden Klang einer großen Kathedrale. Im Südpolarmeer mischen sich diese Töne zu einem monumentalen Chor, aus dem die Computerprogramme dann einzelne Stimmen herausfischen und in Form von Grafiken den Forschern vorlegen.

Dazu müssen diese Töne aber erst einmal zuverlässig identifiziert werden, was nicht immer einfach ist. So hörten die Forscher immer wieder einen Klang, den sie als „Bio-Ente“ bezeichneten, obwohl sie einen ganz anderen Verdacht auf den Urheber hatten. Diesen Verdacht konnten US-amerikanische Kollegen dann 2014 erhärten, als sie Antarktische Zwergwale beobachteten, die exakt diese Bio-Enten-Laute von sich gaben.

Hintergrundgeräusch verstummt im Herbst

Im Südsommer von Weihnachten bis Februar lassen die Bio-Enten sich allerdings kaum hören. „Entweder sind die Zwergwale in dieser Zeit stumm oder ein Teil von ihnen ist in ganz anderen Regionen unterwegs“, erklärt Sebastian Menze. Still ist es allerdings in dieser Zeit trotzdem nicht. Treiben doch an der Oberfläche Wind und Stürme Wellen vor sich her, die manchmal brechen und dabei Luftbläschen einschließen, die später wieder aus dem Wasser herausblubbern. Diese Töne mischen sich zu einem kräftigen Hintergrundgeräusch, das im Herbst langsam verstummt. Dann bildet sich auf dem Südpolarmeer eine Eisdecke, die wie ein dicker Teppich die Geräusche von oben dämmt.

Im antarktischen Spätherbst filtern die Computerprogramme ab Mai dann häufig den Sound von Bio-Enten aus den jetzt viel leiseren Hintergrundgeräuschen heraus. Die Zwergwale melden sich also wieder zu Wort. Und das zwischen Mai und Juli vor allem zu nächtlicher Stunde. Allerdings unterscheiden sich in dieser Zeit am südlichen der beiden Mikrofone Tag und Nacht nur wenig voneinander, weil am 69. Breitengrad die Polarnacht dann das Meereis ohnehin in dauerndes Dunkel hüllt. Die kleinen, nur wenige Zentimeter langen Minikrebse – Krill genannt – behalten allerdings auch in dieser Zeit ihren Lebensrhythmus bei: Tagsüber schwimmen sie in einigen hundert Metern Wassertiefe gut geschützt vor gefräßigen Mäulern. Am Abend kommen sie dann in die oberen Wasserschichten, um das dort wachsende Kleinzeug abzuweiden. Genau diese Minikrebse aber sind die Leibspeise der Zwergwale und könnten sie zu nächtlicher Stunde zu einem Festmahl anlocken.

Seeleoparden rufen im Dezember

„Das Eis stört die Zwergwale offensichtlich wenig“, erklärt Sebastian Menze. Anscheinend weiden sie mit ihrer spitzen Schnauze ihr Abendessen unter dem Eis ab und tauchen nur ab und zu zwischen den Schollen zum Atmen auf. Jetzt im Herbst hört man auch die Finnwale wieder, die im langen Rest des Jahres stumm sind oder in andere Regionen wandern. Blauwale wiederum hören die Forscher das ganze Jahr über, während die für Seeleoparden typischen Frequenzen zwischen 320 und 350 Hertz vor allem im Dezember zu hören sind. In dieser Zeit denken die Robben nämlich an Nachwuchs und verständigen sich mit lauten Rufen mit ihren Partnern. Auch diese Paarungsrufe mischen sich dann in den Chor, der in der Kathedrale des Südpolarmeeres auftritt.

So klingt der Ruf des Seeleopards

Wale und Robben im Südpolarmeer

Blauwale
Die Riesen der Meere können bis zu 200 Tonnen wiegen und in Ausnahmefällen 33 Meter lang werden. Sie filtern mit langen Hornplatten im Maul winzige Lebewesen aus dem Wasser und rufen in Tonlagen zwischen 18 und 27 Hertz, die für Menschen nicht hörbar sind.

Finnwale Diese nächsten Verwandten der Blauwale sind mit einer Länge bis zu 27 Metern und einem Gewicht bis zu 70 Tonnen kleiner und vor allem viel schlanker. Genau wie Blauwale wurden sie von Walfängern beinahe ausgerottet und erholen sich nur langsam von diesen Exzessen.

Zwergwale Diese Wale werden kaum länger als zehn Meter und sind damit die kleinsten der Bartenwale, die mit Hornplatten im Maul kleine Organismen aus dem Wasser sieben. Mit diesem relativ kleinen Körper können sie im Meereis bestens navigieren, in dem sie ihre Leibspeise, die kleinen Krill-Krebse abweiden.

Seeleoparden Die Jäger ernähren sich von Kleinkrebsen, Fischen, Pinguinen und jungen Robben. Wie die Seehunde gehören sie zu den Hundsrobben. Weibchen können vier Meter lang und 400 Kilogramm schwer werden.