Dieses Wochenende planen Rechtsextreme in Dresden einen großen Aufmarsch. Die Dresdner sind daran nicht ganz unschuldig.

Dresden - Alteingesessene Dresdner, so heißt es bitter-ironisch bei Zugezogenen in der Elbmetropole, trügen schon im Mutterleib eine unzerstörbare Vision vor Augen: den Canaletto-Blick. Gemeint ist die vom venezianischen Maler festgehaltene Stadtansicht aus altem barockem Zentrum mit Hofkirche, Frauenkirche, Brühlscher Terrasse und der Augustusbrücke über die Elbe. Wie sehr jenes idealisierende Bild die Sicht auch trüben kann, lässt sich stets um den 13. Februar herum erleben. Am Jahrestag der Bombardierung der Stadt 1945 verfiel Dresden bisher in eine Schockstarre. Man schwieg und trauerte. Abends um 21.45 Uhr läuteten alle Glocken, Kerzen wurden angezündet, der Canaletto-Blick diente als schmerzverstärkendes Requiem.

So bemerkte niemand, dass auch ungebetene Gäste dort ihr Süppchen kochten. Als bereits Tausende Neonazis aus ganz Deutschland und halb Europa in martialischen Trauermärschen mit Fackeln durch die Canaletto-Kulisse stiefelten, schien es die Dresdener in ihrer Rückwärtsgewandtheit nicht zu rühren. Leise Sympathie ließ sich stattdessen bei älteren Dresdenern beobachten.

In Leipzig oder Jena wehrten sich die Bürger so lange gegen die Aufmärsche zugereister Neonazis, bis diese schließlich aufgaben. Dort hatten sich sogar die Oberbürgermeister (beide SPD) zwischen die Blockierer gesetzt. Anders in Dresden. Das Rathaus habe den Widerstand nicht nur nicht befürwortet, sondern oft gar noch behindert, sagt Ralf Hron vom DGB Sachsen. Da stellte man bürgerliche oder kirchliche Nazigegner in die Linksaußenecke und verweigerte denen, die Gegenaktionen anmeldeten, den Routenverlauf der braunen Marschierer.

Die Stadt Dresden genehmigte alle braunen Aufzüge


Das sollte sich rächen. Aus zunächst sieben Leuten, wie sich der heutige Chefberater der sächsischen NPD-Landtagsfraktion, Holger Szymanski, erinnert, wurden bald 60, dann 150, schließlich 500 und 2002 dann über tausend Neonazis. Szenegrößen wie Franz Schönhuber oder Horst Mahler kamen an die Elbe. Die Stadt genehmigte alle braunen Aufzüge, achtete allenfalls auf Einhaltung der Straßenverkehrsordnung.

Mehr als zehn Jahre dauerte der Spuk, ehe man sich im offiziellen Dresden durchrang, etwas zu tun. Der Druck von außen war zu groß geworden. Doch noch immer suchte das stets konservativ dominierte Rathaus eher auszubremsen, als Flagge zu zeigen. Als 2009 ein von Kirchen, Gewerkschaften, SPD, Linken und Grünen gegründetes Bündnis "Geh-Denken" zu einer Art Sternmarsch gegen die braunen Umzüge mobilmachte, verweigerte die Rathaus-CDU um Oberbürgermeisterin Helma Oroz diesen Schulterschluss. Denn in Sachsen standen Landtagswahlen an. Die Union wollte sich so einerseits mit der Gegnerschaft nicht allzu einig geben, andererseits für streng konservative Wähler attraktiv bleiben. 6000 Neonazis erlebten dies als erneute Aufforderung zum Wiederkommen.

So gebar die Stadtspitze 2010 erstmals die Idee einer Menschenkette durch die Altstadt. Sie wurde gut angenommen, auch weil sie vielen Kulturbürgern die Chance bot, auf ihre Weise Grimm gegen die Vereinnahmung ihres Trauertages von außen zu zeigen.