Eine obskure Nazigruppe verschickt deutschlandweit Drohbriefe an Moscheen und jüdische Gemeinden. Polizei und Verfassungsschutz sind alarmiert.

Stuttgart - Der Brief lag Mitte Februar in der Post. Ein achtseitiges Schreiben an die Sehitlik-Moschee in Berlin-Neukölln direkt am stillgelegten Flughafen Tempelhof. Unflätige Briefe mit Beschimpfungen treffen hier häufiger ein. Und dennoch: dieses rassistische Pamphlet war etwas anderes. Sein Inhalt erinnert an die wirren Gedanken des norwegischen Attentäters Anders Behring Breivik. Zudem enthält es eine deutliche Drohung: Alle Muslime hätten spätestens bis zum 1. August Deutschland zu verlassen – ansonsten könnten Gewaltaktionen nicht ausgeschlossen werden. Der Brief endet zynisch: „Mit freundlichen Grüßen – Die Führung der Reichsbewegung“.

 

Von Angst will Ender Cetin, Vorsitzender der Moscheegemeinde, jetzt nicht sprechen. „Die lassen wir uns nicht einjagen“, sagt er. „Aber es ist schon ein mulmiges Gefühl.“ Mittlerweile ist das Schreiben auch an Empfänger in Niedersachsen, Hamburg und Baden-Württemberg verschickt worden. In Baden-Württemberg sei es „gehäuft aufgetaucht“, sagte eine Sprecherin des Verfassungsschutzes in Stuttgart. „Wir kennen diese Briefe.“ Die Jüdische Gemeinde in Berlin hat das Schreiben ebenfalls erhalten.

Hetze gegen Juden

Hinter den Drohungen steckt eine Nazigruppe, die sich „Die Reichsbewegung – Neue Gemeinschaft von Philosophen“ nennt. In dem Drohbrief bekennt sich die Gruppe zur „Wiedererstehung des Deutschen Reiches“, und zwar als „Teilreich des Heiligen Atlantischen Reichs Europäischer Völker“. Im Internet hetzt sie gegen Juden und leugnet den Holocaust. Viel wissen die Ermittler nicht über die Gruppe. Sie halten sie für einen „Hinterzimmer-Debattierzirkel“. Der Berliner Verfassungsschutz geht jedoch davon aus, dass sie in der rechtsextremen Szene isoliert ist.

Der Inhalt des Drohbriefes ist so obskur, dass man den oder die Verfasser für wirre Spinner halten könnte. Aber die Mordserie der Terrorzelle Nationalsozialistischer Untergrund („NSU“) und auch das Attentat Breiviks haben gezeigt, wozu Rechtsextreme fähig sind. Die Sicherheitsbehörden sind alarmiert, die Polizei ermittelt wegen Volksverhetzung. Berlins amtierende Polizeipräsidentin Margarete Koppers sieht bei Teilen der Rechtsextremen eine „niedrige Hemmschwelle“ zur Gewalt. „Wir müssen auch den Einsatz von Waffen einkalkulieren“, sagte sie bei einer Podiumsdiskussion über die Drohbriefe in Berlin.

Wie damit umgehen?

Bei solchen Schreiben stellt sich immer die Frage: Wie damit umgehen? Wer Drohbriefe veröffentlicht, gibt den Verfassern Aufmerksamkeit und spornt möglicherweise Nachahmer an. Trotzdem gehen die Sehitlik-Moschee und die Jüdische Gemeinde in Berlin offensiv mit dem Thema um. Zu der Podiumsdiskussion hatten sie gemeinsam mit der evangelischen und katholische Kirche geladen. „Mit dem Brief soll ein Klima der Angst verbreitet werden“, sagt Wolfgang Klose, Vorsitzender des Diözesanrates im Erzbistum Berlin. „Dagegen müssen wir anstehen.“ Die evangelische Genezareth-Gemeinde aus Neukölln schickte seinen muslimischen Nachbarn einen Solidaritätsbrief.

Für die Betroffenen war das ein wichtiges Zeichen. Die Taten der „NSU“, Debatten mit antimuslimischen Zügen, Ressentiments – das Vertrauen der jungen Muslime in Deutschland sei erschüttert, sagte Pinar Cetin aus der Gemeinde der Sehitlik-Moschee bei der Podiumsdiskussion: „Es gibt alltäglich Diskriminierungen, über die wir nicht reden.“ Für die Autoren des Drohbriefs hatte sie eine deutliche Botschaft: „Keiner von uns wird bis August auswandern. Das können sich die Verfasser des Briefes abschminken.“