Der Gründungsrektor der Universität Ulm, Ludwig Heilmeyer, war ein großer Mediziner. Doch war er auch ein Nationalsozialist? Das Institut für Medizingeschichte der Universität erforscht derzeit die Vergangenheit des einst verehrten Rektors.

Politik/Baden-Württemberg: Rüdiger Bäßler (rub)

Ulm - Eine Straßenbenennung zu Ehren des Gründungsrektors der Universität, das sind die Ulmer Stadtpolitiker ihrem Ludwig Heilmeyer schon schuldig gewesen. Kein Zufall auch, dass die Heilmeyersteige im Nordwesten der Stadt Standort eines großen Studentenheims wurde – auf dass die jungen Leute daran erinnert würden, in welche lichte Höhen fleißige Forschung und wahre demokratische Gesinnung führen können.

 

Heilmeyer frisierte seinen Lebenslauf

Dass Heilmeyer, unter anderem Träger des Großen Bundesverdienstkreuzes, ein hervorragender Mediziner war, ist belegt und wird nicht bestritten. Dass er sich seinen demokratischen Geist im Zuge der Entnazifizierung Deutschlands eilig zulegte, kommt nun mit Macht ans Licht. Als im vergangenen Jahr eine Freiburger Expertenkommission die Straßennamen der Stadt durchforstete und Heilmeyer auf eine Liste zu tilgender Namen setzte, erschraken die Ulmer doch sehr. Seit März verfolgt das Institut für Medizingeschichte den hochschulinternen Auftrag, die Geschichte Heilmeyers aufzuarbeiten. Bis Herbst soll die Arbeit abgeschlossen sein, die ersten Ergebnisse will der Institutsleiter Florian Steger noch in diesem Monat vorstellen.

Was dabei herauskommt, dürfte die Lebensgeschichte eines NS-Kollaborateurs sein, der nach dem Krieg ungeschoren blieb, weil seine Expertise benötigt wurde. Dabei ist Heilmeyers Wirken in Ulm kurz. Er wurde 1967 zu Beginn der baden-württembergischen Regierungsära Filbinger zum Gründungsrektor der Universität Ulm ernannt. Zuvor hatte er den Lehrstuhl für Innere Medizin in Freiburg innegehabt. 1969 starb er im Alter von 70 Jahren.

Schon früh hätten Zweifel aufkommen können

Niemand in Ulm hätte tief schürfen müssen, um Heilmeyers brauner Vergangenheit früh auf die Spur zu kommen. Bereits 2003 hat Ernst Klee sein „Personenlexikon zum Dritten Reich“ vorgelegt. Dort steht: „Heilmeyer, Ludwig. Internist (. . .) Stahlhelm, später SA, 1933 erster Führer der Jenaer Dozentenschaft (. . .) Im Nürnberger Ärzteprozess entlastender Gutachter im Falle der KZ-Versuche an ,Zigeunern’ in Dachau“. In einem Einzelgutachten Freiburger Historiker ist herausgearbeitet, dass der Ulmer Gründungsrektor nach dem Krieg für den im Nürnberger Ärzteprozess angeklagten Wilhelm Beiglböck ein entlastendes Gutachten schrieb. Beiglböck hatte als KZ-Arzt in Dachau Sinti und Roma Meerwasser trinken lassen, um herauszufinden, wie lange über dem Meer abgeschossene deutsche Piloten schwimmend überleben könnten. Beiglböck habe „Fehler“ gemacht, urteilte Heilmeyer, aber kein Verbrechen begangen.

Die durch Ernst Klee belegte Mitgliedschaft Heilmeyers in der Jenaer Dozentenschaft leugnete dieser im Zuge des „politischen Reinigungsverfahrens“ gegen ihn im Jahr 1947. Beim Feld NSDoB (für NS- Dozentenbund) ist ein „Nein“ angekreuzt; dabei war Heilmeyer wohl nicht nur Mitglied der Abteilung in Jena, sondern deren Gründer. Anstatt der Wahrheit enthält die Entnazifizierungsakte blumige Beglaubigungen, zum Beispiel durch einen katholischen Pfarrer aus Jena, der am 17. Dezember 1946 den Prüfbehörden schrieb: „Nach meinem Urteil besitzt Herr Prof. Heilmeyer alle Eigenschaften, um am demokratischen Neuaufbau unsrer Universitäten erfolgreich mitzuarbeiten.“

Auch Heilmeyer selbst nahm schriftlich Stellung. Titel: „Darstellung meines aktiven Widerstandes gegen das nationalsozialistische Regime“. Auf zwei Seiten beklagt Heilmeyer beispielsweise, dass er als Oberarzt in Jena „in den Jahren 1932–1933 gegen den Nationalsozialismus auch öffentlich Stellung genommen“ habe. Die Folge: „Mehrere meiner abfälligen Äußerungen (. . .) wurden notiert und der Kreisleitung überbracht.“ Heilmeyers angeblicher „Widerstand“ verhinderte immerhin nicht, dass er 1937 zum Professor ernannt wurde. Schwerpunkt: Luftfahrtmedizin und Blutkrankheiten.

Heilmeyer stellte sich als Widerstandskämpfer dar

Heilmeyers Entnazifizierungsakte hat sich der Ulmer Historiker Andreas Lörcher aus dem Freiburger Staatsarchiv beschafft. Als Leiter der „Denkstätte Weiße Rose“, die an der Ulmer Volkshochschule verankert ist, befasste sich Lörcher mit der NS-Zeit, insbesondere dem Schicksal der ermordeten Geschwister Hans und Sophie Scholl. Dass ausgerechnet Heilmeyer sich als Widerstandskämpfer darstellte, sei „anmaßend“, sagt Lörcher. Er erinnert daran, dass Heilmeyer 1919 als Mitglied des berüchtigten „Freikorps Epp“ an der blutigen Niederschlagung der Münchner Räterepublik teilnahm. Im Freikorps tummelten sich auch der spätere SA-Chef Ernst Röhm und Rudolf Heß. Dazu habe Heilmeyer für den „Alldeutschen Verband“ Sympathien geäußert – eine Brutstätte rassisch-völkischer, antisemitischer Ideen.

1943 ließ er sich in die Ukraine versetzen

Heilmeyers Denken wird nicht zuletzt durch seine posthum erschienenen „Lebenserinnerungen“ entlarvt – tagebuchartige Notizen, von Heilmeyers Ehefrau zusammengestellt. Darin schildert er unter anderem, wie er sich 1943 als Luftwaffenarzt in das ukrainische Rowno versetzen ließ, um „neuen Herausforderungen“ zu begegnen. „Die Partisanen wurden immer übermütiger“, notierte Heilmeyer. „Insgesamt erwischte man zehn Männer. Sie wurden am Marktplatz aufgehängt. Danach kehrte wieder völlige Ruhe ein.“

Nach 1944 wurde Heilmeyer nach Krakau versetzt und traf auf einen früheren Mitschüler, den Generalgouverneur Hans Frank, später als „Judenschlächter von Krakau“ bekannt. Oft hätten sie „am offenen Kaminfeuer“ beisammengesessen, schildert Heilmeyer. Doch nicht über die täglichen Massenerschießungen redeten die beiden offenbar. „Er hatte wieder zum Katholizismus gefunden“, erzählt Heilmeyer. Und: „Er spielte auf dem Klavier Beethoven-Sonaten auswendig.“ Im Nürnberger Prozess wurde Frank 1946 als Hauptkriegsverbrecher verurteilt und hingerichtet. Heilmeyer schrieb: „Ohne sein Sündenregister im einzelnen zu kennen, habe ich seine Hinrichtung sehr bedauert.“