Der geplante Wohnbau im Neckarpark hat erhebliche Folgen für die Initiativen, die derzeit das Areal nutzen. Wir stellen die Pläne von Kultur-Insel, Contain’t, den Sprayern und der Skateboardhalle vor.

Stuttgart - Rund ums alte Zollamt hat sich in Bad Cannstatt über die vergangenen Jahre ein Kulturbiotop entwickelt, das in Stuttgart einzigartig ist. In der Kulturinsel, die unter anderem den Club Zollamt beheimatet, finden Hip-Hop-Partys neben Urban Gardening statt. Direkt daneben betreibt der Verein Contain’t ein spannendes Versuchslabor: Die Initiative ist aus dem Kreis der Künstler der Waggons am Nordbahnhof entstanden und hat anfangs eine künstlerische Aufbruchstimmung verbreitet, die am ehesten mit den Wagenhallen vergleichbar ist. Auf der anderen Seite des Areals befindet sich die Skatehalle des Vereins Boost, in der Skater jeden Alters ihr Handwerk lernen. Und an der Seite der Halle liegt eine von nur zwei legalen Graffiti-Flächen, die in ganz Stuttgart existieren. Auf die Pläne für das Stadtquartier Neckarpark mit seinen rund 450 Wohnungen, Hotels und Dienstleistungs- und Gewerbebetrieben reagieren die genannten Initiativen ganz unterschiedlich.

 

Im Club Zollamt ist die Stimmung trotz der ungewissen Zukunft wegen der Neckarpark-Pläne erstaunlich positiv. „Es ist uns völlig klar, dass es den Club in ein paar Jahren in der jetzigen Form nicht mehr geben kann“, sagt Joachim Petzold, der Geschäftsführer der Kulturinsel Stuttgart, in der der Club beheimatet ist. Darum wolle er das Zollamt-Areal als kulturelles Zentrum im Neckarpark etablieren. „Im Moment haben wir die Hoffnung auf eine temporäre Verlängerung des Mietvertrags“, so Joachim Petzold. Vermieter des Areals ist die Lorinser/Riester GbR, Eigentümer die Stadt Stuttgart. Ende 2016 endet der Vertrag, bis dahin hofft Petzold auf eine Einigung mit Stadt und Vermieter.

Kultur-Insel wirbt für ihr Konzept in der Nachbarschaft

„Wir versuchen auch im Viertel für das Areal und unsere Vision vom Kulturtreff zu werben“, sagt Joachim Petzold. Die Kulturinsel Stuttgart beherbergt derzeit mehrere Konzepte, die Kultur und Austausch in jeglicher Form abdecken. In den neu eingerichteten Tagungsräumen findet etwa ein Seminar für „wesensgerechte Bienenhaltung“ statt. „Inselgrün“ dagegen ist ein Urban-Gardening-Projekt, bei dem Bio-Obst und -Gemüse angebaut wird, das aber auch gerne ein Nachbarschaftscafé etablieren möchte. „Wenn ich die Vielfalt sehe, die wir hier bieten können, dann denke ich, dass es auf jeden Fall eine Daseinsberechtigung für das Areal in dieser Form gibt“, sagt Petzold.

Neben dem Zollamt-Areal befindet sich das Gelände des Kulturvereins Contain’t. Die Initiative ist ein wenig mit den Wagenhallen zu vergleichen. Doch während über die Kulturstätte am Nordbahnhof derzeit die halbe Stadt diskutiert, ist es um Contain’t ruhig geworden. Auf dem Gelände des Vereins kann man derzeit eine Umsiedlungsaktion beobachten, die man nicht alle Tage zu Gesicht bekommt. Eidechsen, die den gesamten Neckarpark besiedeln, werden im Auftrag der Stadt vergrämt, um die Baufelder vorzubereiten.

Contain’t hofft auf den Bürgerhaushalt

Die hier ansässigen Künstler stecken derweil alle Energie ins zweite Standbein des Vereins, die Ateliergemeinschaft. „Wir sind nach vier Jahren immer noch nicht dort, wo wir hinwollen“, sagt Matthias Knöller, seit Oktober vorigen Jahres einer der Vorstände von Contain’t. Aktuell fehle immer noch die nötige Baugenehmigung, um das Gelände auch für öffentliche Veranstaltungen nutzen zu dürfen. „Es gibt leider kein Zwischennutzungsrecht im deutschen Baurecht. Daher müssen wir sehr hohe Auflagen erfüllen“, ergänzt er.

Weiter sagt er: „In zwei Wochen beginnen wir mit einer Startnext-Kampagne, um Gelder zu sammeln.“ Startnext ist eine Crowdfunding-Plattform, auf der Kreative für Unterstützung ihrer Projekte werben können. Zum anderen weise man auch über den Bürgerhaushalt auf die Probleme des Vereins hin. Dort wirbt man für „eine Verlängerung des Mietvertrags bis zum letztmöglichen Zeitpunkt“ und die Unterstützung bei der Suche nach einer Ausweichfläche. Ende diesen Jahres läuft der Mietvertrag für das Contain’t-Gelände aus.

Graffiti-Fläche ist nicht gefährdet, die Skaterhalle schon

Am Rande des Areals befindet sich eine von nur zwei legalen Graffiti-Flächen in Stuttgart. Im März sollen die Bauarbeiten zur Errichtung einer Lärmschutzwand entlang der Bahngleise beginnen – direkt neben der Graffiti-Fläche. Die 600 Meter lange Wand ist notwendig, um die künftigen Bewohner des Neckarparks vor Lärm zu schützen. Die Sprayer können aber aufatmen. Die Bauarbeiten für die Lärmschutzwand, so Udo Hofmeister vom Tiefbauamt, sei in ausreichender Entfernung. Die Künstler können sich weiter auf der Fläche austoben. „Wir brauchen diesen Raum“, sagt Florian Schupp, Graffiti-Beauftrager der Stuttgarter Jugendhausgesellschaft.

Für die vierte Einrichtung am Rande des Areals, den Verein Boost, der die 700 Quadratmeter große Skateboardhalle auf dem Areal betreibt, könnte dagegen in zwei Wochen Schluss sein. Das liegt aber nicht am geplanten Stadtquartier, sondern an den finanziellen Problemen des Vereins. Die Mitglieder müssen die Nebenkosten der vergangenen vier Jahre nachzahlen – in Höhe von 13 000 Euro. Der neue Vorstand, Ralf Knecht, sieht die Schuld klar beim Verein. „Es wurde grob fahrlässig gehandelt“, sagt er.

Das Sportamt habe sich schon beim Vorstand gemeldet und auf die Förderung für Jugendarbeit aufmerksam gemacht. In der von Boost betriebenen Skateboardschule The Step werden Kinder unterrichtet. In den Skateshops der Stadt sind außerdem Spendenboxen aufgestellt, dazu soll eine Crowdfunding-Aktion gestartet werden.