Es wird wohl noch viele Wochen dauern, bis die Neigetechnik wieder genutzt werden darf. Ein Notfahrplan berücksichtigt nun die Verspätungen auf den Strecken Stuttgart-Tübingen-Aulendorf und Ulm-Friedrichshafen-Basel.

Stuttgart - Im Prinzip ist die Neigetechnik in Triebwagen eine gute Sache: Wenn sich die Fahrzeuge wie ein Fahrradfahrer in die Kurven legen, lassen sich deutlich höhere Geschwindigkeiten erzielen, ohne Komforteinbußen für die Fahrgäste. Und wenn die Kurven mit 160 Kilometern in der Stunde durchfahren werden statt mit 120, führt zu deutlich geringeren Fahrzeiten. So beträgt der Zeitgewinn beispielsweise auf der Verbindung von Stuttgart nach Sigmaringen bis zu 18 Minuten, von Stuttgart bis Aulendorf sogar bis zu 25 Minuten.

 

Jedenfalls dann, wenn die Technik funktioniert. Leider tut sie das mitunter nicht. Zuletzt musste die Neigetechnik bei allen damit ausgerüsteten Triebwagen seit dem 19. Dezember abgeschaltet bleiben. Die Folge: Die Triebwagen fahren aufrecht und langsamer durch die Kurven, der Zeitgewinn ist dahin, die Fahrpläne sind nicht mehr zu halten. Die Technik bleibt aus Sicherheitsgründen abgeschaltet, teilte die Bahn kürzlich mit, ein Ende der Störung sei nicht abzusehen.

Fahrplan wird Verspätungen angepasst

Von diesem Montag an sollen die Züge ungeachtet der technischen Einschränkungen wieder laut Fahrplan verkehren. Aber nur, weil dieser nachgebessert wurde. Die Verspätung kann durch verkürzte Standzeiten in den Bahnhöfen teilweise aufgefangen werden. Ohne Reserven wird der Fahrplan jedoch auch anfälliger.

Der Notfahrplan, er ist bereits in die elektronische Fahrplanauskunft eingearbeitet worden, soll zunächst bis Ende März gelten. Falls sich die Störungen früher beheben lassen, ist eine raschere Rückkehr zum bisher geltenden Fahrplan möglich. In der Fahrtrichtung Aulendorf–Stuttgart kommt es laut einer DB-Mitteilung nur zu geringfügigen Änderungen. In der Fahrtrichtung Stuttgart–Aulendorf erreicht der IRE Sigmaringen fünf Minuten, die Bahnhöfe zwischen Mengen und Aulendorf bis zu zehn Minuten später. Die Auswirkungen auf die Strecke Ulm-Friedrichshafen-Basel sind etwas größer.

Züge der HzL indirekt betroffen

Der Notfahrplan legt dennoch offen, dass Fahrgäste, die auf der Zollernbahn in Richtung Friedrichshafen unterwegs sind, ihren Interregio in Aulendorf verpassen werden. Sie müssen auf Züge der Bodensee-Oberschwaben-Bahn ausweichen und somit einen weiteren Zeitverlust in Kauf nehmen. Nicht nur das: Weil der Neitec langsamer unterwegs ist, hat das auch Folgen für manche Züge der Hohenzollerischen Landesbahn. Die müssen mitunter in den Bahnhöfen warten, bis der im Prinzip schnellere IRE-Zug der DB durch ist.

Im Triebwagen VT 611 wurde die Neigetechnik vor 20 Jahren eingeführt, in seinem Nachfolger, dem in vielen Bereichen neu konstruierten VT 612, nach 1998 verbessert. Hersteller Adtranz setzt nicht auf ein hydraulisches System, wie es im Falle der Pendolinos von Fiat in Italien verwandt wird. In Deutschland kommt ein System mit Elektromotoren zum Einsatz mit Anleihen an die Militärtechnik. Eisenbahner berichten von einer nahen Verwandtschaft zum Panzer Leopard II. Dessen Geschützrohr soll möglichst gerade ausgerichtet sein, unabhängig davon, ob das Fahrgestell des Panzers schräg steht.

Schäden im Neigetechnikantrieb?

Die Neigung wird dort wie hier über komplexe Schneckengetriebe bewirkt. Und in diesem Bereich soll bei einem in Bayern eingesetzten Triebwagen eine Störung aufgetreten sein. Von einem „möglicherweise schadhaften Bauteil im Neigetechnikantrieb“, spricht die DB. Deswegen wurde die Neigetechnik bei allen Zügen der Baureihen VT 611 und VT 612 außer Betrieb genommen. Offenbar wird für jeden der Züge ein außerplanmäßiger Werkstatttag angesetzt, um die Technik zu überprüfen.

Damit soll ausgeschlossen werden, dass sich ein in der Neigung befindlicher Zug wegen eines technischen Problems bei voller Fahrt nach einer Kurve nicht mehr aufrichtet. Auf gerader Strecke wären die Folgen nicht gravierend. Anders stellt sich das Szenario dar, sollten sich geneigte Züge in einer Kurve begegnen. Dann – so die Theorie – seien Berührungen nicht ausgeschlossen. In der Praxis ist das noch nie vorgekommen. Auf eingleisigen Strecken – wie auf Abschnitten der Zollerbahn hinter Tübingen – wäre dies auch gar nicht möglich. Doch dem Vernehmen nach lässt sich die Technik aber nicht so einfach ein- und ausschalten, um auf verschiedene Streckenvarianten schnell genug reagieren zu können.

Wimmer wieder Mängel

Neu sind die Probleme mit dieser Zuggattung keinesfalls. 1997, im Jahr nach der Inbetriebnahme des VT 611, begrenzte das Eisenbahn-Bundesamt das Tempo der Triebwagen auf 120 Kilometer und ordnete eine Abschaltung der Neigetechnik an. Nach einer Überarbeitung der Technik wurde erst 1999 wieder flott gefahren.

Funktionsstörungen oder auch Haarrisse in einer Radsatzwelle führten immer wieder zu ähnlichen Einschränkungen für mehrere Monate oder gar bis zu zwei Jahren. Mitunter war von Konstruktionsfehlern die Rede. „Es wurde eine neue Technik entwickelt, produziert und eingebaut“, hieß es in dazu passenderweise im April 2011 aus dem Stuttgarter Verkehrsministerium. Danach fuhren die VT 611 und VT 612 wieder mit bis zu 160 Sachen durch die Kurven. Bis zur aktuellen Störung im Dezember 2015.