Der baden-württembergische Verfassungsschutz fällt vor dem NSU-Untersuchungsausschuss durch eine allumfassende Ignoranz auf.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Armin Käfer (kä)

Berlin – Manchmal verraten kurze Dialoge mehr als seitenlange Protokolle. Das lässt sich aus einer Episode schließen, die sich am Donnerstag im Neonazi-Untersuchungsausschuss des Bundestags abgespielt hat. Am Zeugentisch sitzt Bettina Neumann. Sie war die Expertin des baden-württembergischen Verfassungsschutzes für Rechtsextremismus, und zwar während einer langen Zeit: von 1993 bis 2011. In ihrer Zuständigkeit ist allerdings vieles passiert, wovon sie keine Ahnung hatte. Frau Neumann gebärdet sich vor dem Ausschuss geradezu wie die personifizierte Ahnungslosigkeit.

 

Der CDU-Abgeordnete Clemens Binninger fragt sie nach Tino Brandt. Das war ein Mann aus dem Umfeld des Terrortrios, das sich „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) nannte. Brandt kannte die Drei vom rechtsextremen Thüringer Heimatschutz. Die Verfassungsschützerin aus Stuttgart, inzwischen zum Bundesamt in Köln befördert, behauptet, der Mann habe „keine Bezüge zu Baden-Württemberg“ gehabt. Binninger erwidert: Immerhin habe Brandt doch ein Haus in Heilbronn gekauft. Neumann: „Hat er?“ Binninger: „Er hat.“ Neumann: „Da wissen Sie mehr als ich.“ Binninger: „Ich hatte eigentlich die umgekehrte Erwartung.“

Keine Ahnung von der „Ludwigsburg-Connection“

In Heilbronn haben Brandts Kumpane am 25. April 2007 die Polizistin Michèle Kiesewetter erschossen. Der Fall ist nach wie vor mysteriös. Es ist bis heute unklar, warum die junge Frau sterben musste. Es gebe keinerlei Hinweise darauf, dass es zwischen dem Mord und den vielfältigen Kontakten der Neonazibande aus Thüringen zu Gleichgesinnten in Baden-Württemberg einen Zusammenhang gibt. Das versichern Abgeordnete aller Fraktionen aus dem Untersuchungsausschuss. Der CDU-Mann Binninger, früher selbst Polizist, betont aber: „Ich kann nicht so weit gehen, etwas auszuschließen.“

Was rechtsextremistische Aktivitäten angeht, so sei es „nicht so, dass Baden-Württemberg die Insel der Glückseligen war“, sagt die Expertin Neumann. Von vielen Umtrieben hatte sie jedoch allenfalls oberflächliche Kenntnisse. Das gilt etwa für die „Ludwigsburg-Connection“, von der das Bundeskriminalamt spricht. Neumann weiß mit dem Begriff nichts anzufangen. Das NSU-Trio war auch nach seinem Abtauchen mehrfach bei braunen Kameraden in der Barockstadt. Das dokumentiert unter anderem ein Foto, das die in München angeklagte Beate Zschäpe vor dem Ludwigsburger Schloss zeigt.

„Weiße Flecken“ im Weltbild der Verfassungsschützer

Nach eigenem Bekunden wusste die Verfassungsschützerin Neumann nichts von der so genannten Garagenliste, auf der die NSU-Terroristen ihre Kontaktleute notiert hatten. Darunter drei Namen aus Ludwigsburg: den Skinhead-Musiker Michael Ellinger, ein Waffennarr namens Schmidt und eine „Uschi“, die zeitweise mit einem Rechtsextremisten liiert war. Diese Namen, so Neumann, kenne sie nicht, die drei seien wohl „nicht auffällig gewesen“.

Die Verfassungsschützerin räumt ein, dass die Region Stuttgart mit Ludwigsburg und Heilbronn Schwerpunkt der rechtsextremistischen Szene im Land gewesen sei. Ihr Bild von diesem Milieu, für dessen Beobachtung sie zuständig war, habe jedoch „weiße Flecken“. Einer davon war Ludwigsburg. Die Kontakte aus dem NSU-Umfeld nach dort seien für sie „ein absolutes Rätsel“. Der Abgeordnete Binninger findet so viel Nichtwissen „eher erschreckend“. Sein FDP-Kollege Patrick Kurth zeigt sich „erschüttert“ davon, dass Neumanns Gedächtnis ausgerechnet im Kernbereich ihrer Zuständigkeit so viele Lücken aufweist. Sebastian Edathy, Vorsitzender des Untersuchungsausschusses, verabschiedet die Verfassungsschützerin mit einer sarkastischen Bemerkung: Er hoffe nicht, sagt der SPD-Mann, dass der Ausfall des Erinnerungsvermögens Grund für die Versetzung zum Bundesamt in Köln gewesen sei.