Parteipolitik und Netzgemeinde stehen sich im Unverständnis gegenüber. Die Enquetekommission will bis zur Sommerpause ihre Arbeit abschließen.

Digital Desk: Jan Georg Plavec (jgp)

Berlin - Das Urheberrechtsabkommen Acta, die Debatten über Netzsperren oder diskriminierungsfreien Internetzugang sowie Aktionen der Gruppe Anonymous haben Netzpolitik in die Mitte der politischen Arena katapultiert. Zahlreiche netzpolitische Demonstrationen offenbaren, dass sich Parteipolitik und „Netzgemeinde“ in Unverständnis gegenüberstehen; Politiker wissen nicht, wie sie mit Netzaktivisten umgehen sollen, und die im Internet politisch Aktiven unterstellen Politikern Ahnungslosigkeit, Machtinteressen und Geheimniskrämerei.

 

Dieser kulturelle Graben tut sich seit mehr als anderthalb Jahren auch in der Enquetekommission Internet und digitale Gesellschaft im Bundestag auf. Bis zur parlamentarischen Sommerpause soll sie ihre Arbeit abschließen. Viele der 34 Mitglieder (die Hälfte davon, streng nach Parteiproporz, Abgeordnete) haben sich regelmäßig zu den Projektgruppen, Klausuren und öffentlichen Sitzungen geäußert – in Interviews, auf ihren Internetseiten oder per Twitter. Oft hat es geknallt, die Gräben verliefen meist zwischen Parteipolitikern und Wirtschaftsvertretern auf der einen und Netzaktivisten auf der anderen Seite.

Als „Schmierenkomödie“ und „Demokratieschaden“ bezeichnete der von den Grünen in die Kommission bestellte Netzjournalist Markus Beckedahl die Sitzung Anfang Juli 2011, in der die Abgeordneten der Regierungsfraktionen gemeinsam mit den von ihnen bestellten Sachverständigen eine Abstimmung zur Netzneutralität verschoben. Die Mehrheitsverhältnisse waren unklar, und es hätte der Koalition nicht gepasst, wenn die Enquete mehrheitlich ein Netzneutralitätsgesetz gefordert hätte.

„Ein üblicher taktischer Winkelzug“

Für Beckedahl oder die von den Linken als Sachverständige bestellte Sprecherin des Chaos Computer Clubs, Constanze Kurz, ist die verschobene Abstimmung ein für Parteien üblicher taktischer Winkelzug. In den Internetnetzwerken bemängelten Kommentatoren, solche „Verfahrenstricks“ hätten mit „echter Demokratie“ nichts zu tun. Viele seien von der Enquete enttäuscht, sagt Markus Beckedahl: „Die Wahrnehmung ist eher die: ‚Schön, dass wir darüber gesprochen haben.‘“

Das Unverständnis der Beobachter und die teils emotionalen Diskussionen im Netz betreffen ein machtloses Gremium. Die Enquete kann und soll Probleme beschreiben und Handlungsempfehlungen beschließen, die der Bundestag aufnehmen kann oder nicht. Weil aber die Kommission oft mit der Tagespolitik in Berührung kam und Internetthemen wichtiger werden, wurde der Enquete trotzdem Relevanz zugeschrieben.

In den öffentlichen Sitzungen ging es aus denselben Gründen selten nur um Leitlinien für eine bessere Netzregulierung. Die Diskussionen waren stets auch politisch; die Abgeordneten achteten an kritischen Punkten darauf, dass die von ihnen berufenen Sachverständigen der Parteilinie folgten. So baten Liberale und Union vor der erwähnten Abstimmung zur Netzneutralität um eine Pause – um den als Wackelkandidat geltenden, nicht unter Klarnamen auftretenden FDP-Sachverständigen „padeluun“ auf Kurs zu bringen.

Bloggen und Twittern erzeugt Redundanz

So etwas konterkariert das Bemühen um Transparenz und (Online-)Bürgerbeteiligung, die an der Enquete erprobt werden – zumindest ein Stück weit. Interessierte durften auf einer Bundestagsseite die Sitzungsarbeit zwar kommentieren und Vorschläge machen, die Arbeitsgruppen tagten aber hinter verschlossenen Türen. Gleichzeitig wurde durch das rege Bloggen und Twittern der Kommissionsmitglieder Redundanz erzeugt: Die Diskussionen über Livekommentare aus den Sitzungen führten inner- und außerhalb der Enquete zu Ärger; die Kommission wirkte zerstritten.

Daraus zieht jeder seinen eigenen Schluss. „Man braucht in der Politik eben auch nichtöffentliche Sitzungen, in denen es nicht so wichtig ist, wer etwas sagt und wie“, meint der Enquetevorsitzende und Karlsruher Abgeordnete Axel Fischer (CDU). „In nichtöffentlicher Runde fällt halt viel Schaufenstergerede weg, das ist offenbar gerade für die Parteipolitiker wichtig“, sagt Constanze Kurz. An öffentlichen Sitzungen störte sie, „dass man viel zu wenig über die Sache geredet hat“. Ganz grundsätzlich sei sie aber weiter für volle Transparenz und Öffentlichkeit.

Bilanz wird mager ausfallen

Inhaltliche Arbeit leisteten vor allem die zwölf Arbeitsgruppen. Vier Gruppen haben bis jetzt in Berichten die relevanten Probleme beschrieben und politische Handlungsempfehlungen formuliert. Besonders ausführlich (und hart) waren die Debatten zu Netzneutralität, Urheberrecht und Datenschutz. Diese Berichte sind von Sondervoten durchzogen, alternativen Formulierungen, weil sich die Enquete nicht einigen kann.

Die Berichte der übrigen acht Arbeitsgruppen werden hingegen oberflächlich oder gar nicht geschrieben werden, denn bisher haben noch nicht einmal alle Gruppen ihre Arbeit aufgenommen.

Die handfest-politische Bilanz der Enquete wird also absehbar mager ausfallen. Erfolge sind eher beim politischen Klima zu suchen: Netzthemen werden dank der Enquete mehr wahrgenommen. Außerdem, so berichten Netzaktivisten und Abgeordnete, habe das Verständnis für den jeweils anderen zugenommen. „Manche Kollegen und auch ich haben gesehen, dass Gesetze nicht einfach so auf die Online-Welt übertragbar sind“, sagt Axel Fischer aus ganz persönlicher Erfahrung: als Fischer im Herbst 2010 forderte, dass alle Nutzer im Internet mit Klarnamen auftreten sollen, wurde er im Netz als „dümmster anzunehmender User“ verhöhnt – und das war nur ein Vorgeschmack auf den „Shitstorm“, der nach einem umstrittenen Aufsatz über Fischers Partei- und Enquetekollegen Ansgar Heveling hereinbrach.