Wenn die Eltern psychisch krank sind, ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Kinder ebenfalls erkranken , vier Mal höher als bei anderen. Im Rems-Murr-Kreis will eine Kooperation verschiedener Institutionen solchen Kindern helfen.

Manteldesk: Thomas Schwarz (hsw)

Winnenden - Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Kind psychisch kranker Eltern einmal selbst eine solche Krankheit bekommen wird, ist drei bis vier Mal höher, als bei anderen Kindern und Jugendlichen. Diese Zahl nannte Albert Lenz, promovierter Diplom-Psychologe und Professor an der Katholischen Hochschule Paderborn in seinem Vortrag anlässlich der Fachtagung „Kinder psychisch kranker Eltern im Blick“, die am Mittwoch im Klinikum Schloss Winnenden stattfand. Organisiert wurde sie von der Klinik, dem Kreisjugendamt und dem Hilfsverein für psychisch Kranke Rems-Murr.

 

Ein Thema, das gesellschaftlich relevant ist

„Sie merken, das ist mein Thema, da bin ich mit Herzblut dabei“, sagte Lenz, der seinen Vortrag anhand eines typischen Fallbeispiels aufbaute. Dieses drehte sich um einen zwölfjährigen Jungen, dessen alleinerziehende Mutter seit seiner Geburt unter einer Borderline-Persönlichkeitsstörung leidet und dazu noch magersüchtig ist. Der Junge ist dagegen adipös und wird von seinen Mitschülern wegen seines immensen Körperumfangs gehänselt. „Andererseits ist er ein guter Schüler und wird von den anderen gut behandelt, damit sie von ihm die Hausaufgaben abschreiben zu können.“

Soziale Kontakte hat der Junge nur noch zu seiner Großmutter und einer Nachbarin. Seine außergewöhnliche Lebenssituation wird an der Schule erst bemerkt, nachdem es zur Eskalation gekommen ist. Die Mutter hatte in einer depressiven Phase nicht mehr gegessen. Aus Angst um sie vernachlässigte der Junge die Schule, ging schließlich nicht mehr hin, nachdem er aus dem Sportunterricht weggelaufen war. Die „schräge Mutter“ war zwar an der Schule allen bekannt, wie schwer sie krank war, jedoch allem Anschein nicht.

„Wir müssen kooperieren“, fordert Albert Lenz. Neben den psychiatrischen Einrichtungen, die sich um die kranken Eltern kümmern, seien Schulen, Schulsozialarbeiter und Jugendämter gefragt. Deshalb habe sich bereits im vergangenen Jahr die Allianz mehrerer Institutionen im Landkreis gebildet, um Kindern wie dem Jungen helfen zu können. „Die Fachtagung ist bereits die zweite in dieser Kooperation“, sagte Angelika Stock, die Leiterin des Kreisjugendamtes. „Eine Kooperation ist aber nur so viel wert, wie sie auch in die Tat umgesetzt wird.“

31,7 Prozent der Bevölkerung wird psychisch krank

Mit im Boot sind neben der Klinik im Schloss und dem Kreis auch die Caritas und der Hilfsverein für psychisch Kranke. Thomas Schlipf, der Chefarzt der Winnender Klinik für Psychiatrie, wies zudem auf ein Problem hin, das Kinder psychisch Kranker haben, wenn deren Eltern stationär aufgenommen werden müssen. „Wir hatten erst vor kurzem zwei Fälle, in denen minderjährige Kinder betroffen waren. Eltern-Kind-Stationen gibt es zwar bereits, bei uns allerdings noch nicht.“

Bisher habe man in solchen Fällen immer Lösungen finden können. Dabei sei die Kooperation der verschiedenen Einrichtungen hilfreich. „Das Thema ist aber noch nicht überall durchgedrungen“, sagt Albert Lenz, der seit 20 Jahren auf dem Gebiet forscht und auch im Bereich der Erziehungsberatung praktisch tätig ist. 31,7 Prozent aller Erwachsenen werde im Schnitt psychisch krank, rund 27 Prozent davon lebe mit ihren Kindern zusammen. Wenn man bedenke, dass deren Risiko, ebenfalls eine psychische Krankheit zu bekommen, vier Mal höher ist als bei anderen Kindern, liege der präventive Aspekt auf der Hand, so Lenz.

Im Rems-Murr-Kreis scheint das Problem erkannt zu sein. Der Festsaal des Schlosses war jedenfalls bis zum letzten Platz von einem interessierten Publikum besetzt, das zumeist aus Mitarbeitern aus dem Bereich der Jugendarbeit bestand.