Die älteren Semester erinnern sich noch gut an den Serien-Evergreen „Denver Clan“. Das war vor dreißig Jahren ein Hit im ZDF-Programm. Nun präsentiert Netflix eine ins Hier und Jetzt verlegte Turbo-Neufassung: „Dynasty“ – voller Neid, Sex und Furor!

Kultur: Tim Schleider (schl)

Stuttgart - Das Fernsehen: unendliche Weiten! Wir schreiben das TV-Steinzeitjahr 1983, in dem sich anders als heute nur zwei Galaxien bekämpften: ARD und ZDF. Das Erste feierte gerade am Dienstagabend einen Überraschungserfolg: „Dallas“ hieß ein US-Serienimport, der erstmals zur besten deutschen Sendezeit eine volkspädagogisch völlig wertlose, dafür aber erstaunlich spannende und vor allem bei Millionen von Zuschauern sofort beliebte Soap aus der Welt der Superreichen voller Intrigen, Gewalt und ehelicher Untreue präsentierte. Schauplatz: die erstaunlich geschmacklos eingerichtete Ranch der Ewings – mit Öl zu Macht und Skrupellosigkeit verkommen.

 

Daraufhin musste das Zweite natürlich zum Gegenschlag ausholen. Und die Mainzer wurden ebenfalls im amerikanischen Massenfernsehen fündig. Ihre Antwort hieß ab dem 24. April 1983, einem Mittwochabend: „Der Denver-Clan“. Das Versprechen des Zweiten war ebenso klar wie eindeutig: Im Kreis der Unternehmerfamilie Carrington sollte es noch viel unmoralischer, skrupelloser und unpädagogischer zugehen als bei den Ewings. Und neun Staffeln und 218 Folgen später voller Firmenkämpfe, Verleumdungen, Mordanschläge, wilder Bettakrobatik mit unzähligen Schwangerschaften, plötzlich wieder auftauchender einst verschwundener Kinder, Hirnamnesien, Terroranschlägen und Flugzeugabstürzen wusste der dann doch langsam erschöpfte Zuschauer: Stimmt, „Denver“ war wirklich noch durchgeknallter als „Dallas“. Vor allem: viel luxuriöser. Es war Kapitalismus und Reichtum pur.

Das alles ist eigentlich nur noch für TV-Historiker interessant – und natürlich für alle Menschen über 45, die in den Achtzigern schon unterwegs waren. Nun aber hat der US-Sender CBS den „Denver Clan“ unter seinem US-Originaltitel „Dynasty“ reanimiert, neu verfilmt und versucht, mit einer noch wilderen und ungestümeren Fassung nicht nur jenes Publikum zu erreichen, das 1983 noch gar nicht auf der Welt war, sondern auch mit den heute Alten ordentlich Tacheles zu reden: Seht her! Spätestens seit die Trump-Dynastie die Regierung der Vereinigten Staaten übernommen hat, präsentiert sich der globale Kapitalismus noch einmal mit ganz anderen Muckis; noch intriganter, noch ungehemmter, noch testosterongeschwängerter.

Der Trailer zum Film (auf Englisch):

Tochter Fallon treibt es immer noch mit dem Chauffeur

Die Ausgangskonstellation ist den TV-Senioren bekannt: Firmenboss Blake Carrington heiratet seine Angestellte Krystle und stößt so die beiden erwachsenen Kinder aus erster Ehe vor den Kopf, nämlich die ehrgeizige und mannstolle Fallon sowie den an Umweltschutz und Wirtschaftsethik interessierten schwulen Steven. Juhu, da fühlt man sich gleich wieder daheim.

Ein paar wichtige Updates gibt es dann aber doch: Krystle war vor der Verlobung keineswegs Blakes Sekretärin, sondern hat immerhin die PR-Abteilung geleitet. Fallon treibt es zwar immer noch mit dem Chauffeur Michael Culhane, aber der ist jetzt ein ziemlich abgebrühter Afroamerikaner (kleine O-Ton-Probe aus CBS-„Dynasty“: „Ich verstehe nicht, wie du zufrieden damit sein kannst, den ganzen Tag einen Weißen durch die Gegend zu fahren“ – „Wieso? Der Weiße zahlt mir 200 000 im Jahr, und ich kann seine Tochter vögeln“). Steven ist nicht mehr unglücklich über sein Schwulsein, wie er es vor dreißig Jahren sein musste, sondern genießt die Sexdates mit Sammy-Jo, die auch prompt nicht mehr Krystles Nichte ist, sondern hier ein Neffe. Und Familienboss Blake Carrington hat so gar nichts mehr von dem grau melierten Patriarchencharme, den der Schauspieler John Forsythe der Figur einst verlieh. Grant Show, bekannt aus „Melrose Place“, ist 2017 ohne Oberhemd eigentlich genauso knackig wie James Mackay in der Rolle seines 20 Jahre jüngeren Sohnes Steven.

Auf seine Art eine Zeitansage, vor allem aber unterhaltsam

Diese furiose Oper des Neides, Furors und der Schlechtigkeiten ist perfekt dramatisiert, cool auf den Punkt gebracht, großartig von den Darstellern ausgeführt, modern, aktuell, frech, dreist – auch eine Zeitansage, vor allem aber höchst unterhaltsam. Der Regisseur Brad Silberling („Stadt der Engel“) hat gute Arbeit geleistet. Netflix will die Serie nach Deutschland bringen. Aus dem großen Angebot des Streamingdiensts ragt es von der Qualität her vielleicht gar nicht so weit heraus. Aber warum? Weil hier vieles so gut ist. Das sagt einiges aus über modernes Fernsehen. Wahrscheinlich sind ARD und ZDF doch einfach dem Firmen-Untergang geweiht.